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Aus: Ausgabe vom 14.03.2025, Seite 3 / Schwerpunkt
Israel

Es knirscht in der Knesset

Israel: Regierung Netanjahu nutzt Kriegspause, um Justiz wie vor dem 7. Oktober geplant auf Linie zu bringen. Opposition spielt auf Zeit
Von Knut Mellenthin
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Noch ist er nicht allein im israelischen Parlament: Premier Benjamin Netanjahu (Jerusalem, 18.11.2024)

Israels Regierungskoalition aus Rechten und Ultrarechten fühlt sich gegenwärtig militärisch stark genug, um ihre innenpolitische Offensive wieder aufzunehmen und voranzutreiben. Sie stößt dabei auf starken Widerstand der Opposition, der sich bei diesem Themenkomplex auch viele frühere hochrangige Offiziere der Streitkräfte und der Nachrichtendienste zurechnen.

Zur Erinnerung: Die von Benjamin Netanjahu geführte Koalition hatte bald nach ihrem Amtsantritt im Dezember 2022 eine Kampagne zur »Generalüberholung des Justizwesens« begonnen. Im Mittelpunkt steht das Ziel, die einflussreiche Stellung der Justiz zu schwächen und die Macht der Regierenden nahezu schrankenlos zu erweitern. Die Koalition buchte einige Anfangserfolge, kam aber angesichts massenhafter Proteste nur langsam voran. Die Operation des palästinensischen Widerstands aus dem Gazastreifen am 7. Oktober 2023 hatte eine vorläufige Einstellung der Kampagne zur Folge. Die Opposition wirft der Regierung vor, sie habe diesen Angriff durch die tiefgehende Spaltung der israelischen Gesellschaft überhaupt erst ermöglicht oder zumindest wesentlich erleichtert.

Jetzt, da an den Fronten zum Gazastreifen und zum Libanon Waffenruhe besteht, lässt die Netanjahu-Regierung ihre Kampagne wieder aufleben. Dazu gehört der Vorstoß zur parlamentarischen Verabschiedung eines Gesetzes, das die Zusammensetzung des Komitees, das über die Ernennung aller israelischen Richter einschließlich des Obersten Gerichtshofs zu entscheiden hat, zugunsten der Regierung verändern soll. Die Opposition will die Beschlussfassung dadurch in die Länge ziehen und möglichst torpedieren, dass sie mehr als 70.000 Änderungsanträge eingebracht hat, über die entschieden und diskutiert werden muss. Bis zum Ende der winterlichen Sitzungsperiode der Knesset und dem Beginn der Parlamentsferien am 2. April bleibt der Regierung nicht mehr viel Zeit.

Eine Deadline setzt die Koalition zusätzlich unter Zeitdruck: Bis zum 31. März muss die Knesset dem Haushaltsentwurf der Regierung zustimmen. Anderenfalls müsste das Parlament aufgelöst werden, und Neuwahlen würden fällig, in denen die Koalition allen Umfragen zufolge keine Chance auf eine Mehrheit – mindestens 61 der 120 Abgeordneten – hätte. Auch zu diesem Punkt arbeitet die Opposition mit mehreren tausend Gegenanträgen auf Zeitgewinn. In ihrer derzeitigen Form, nach dem Austritt einer der beiden ultrarechten Parteien, hat die Koalition nur noch eine denkbar knappe Mehrheit von 61 Abgeordneten. Mehrere Vertreter der orthodoxen Partei Vereinigtes Torah-Judentum drohen, gegen den Haushaltsentwurf zu stimmen, falls nicht eine Gesetzesänderung verabschiedet wird, die praktisch die Freistellung orthodoxer Jugendlicher vom Wehrdienst wiederherstellt, die bereits abgeschafft schien.

Ein zentraler Teil des Feldzugs der Regierungskoalition gegen die Justiz ist der Versuch, Generalstaatsanwältin Gali Baharav-Miara abzusetzen und die Ernennung von Isaac Amit zum Präsidenten des Obersten Gerichtshofs zu vereiteln. Beide sind zähe Kritiker der angestrebten »Generalüberholung der Justiz«. Zugunsten von Baharav-Miara haben sich nicht nur die Präsidenten von acht israelischen Universitäten und die Leiter von zehn Colleges ausgesprochen, sondern auch zahlreiche frühere Chefs der Streitkräfte, des Inlandgeheimdienstes Schin Bet und des Auslandsgeheimdienstes Mossad.

Hintergrund: Meinungsbild in Israel zu Frieden mit Palästina

Am Dienstag meldete die Jerusalem Post: »Große Mehrheit der israelischen Juden sieht keine Chance für Frieden mit Palästinensern.« Die weit rechts agierende Tageszeitung bezog sich für ihren Bericht auf die Ergebnisse einer aktuellen Meinungsumfrage des Jewish People Policy Institute in Jerusalem. Demzufolge sehen 85 Prozent der jüdischen Israelis keine realistische Per­spektive für einen Friedensschluss mit den Palästinensern in absehbarer Zeit.

Aus dieser Umfrage ergibt sich außerdem, dass immerhin 35 Prozent der israelischen Juden meinen, es gebe »letzten Endes keine Alternative zu einem langfristigen Friedensabkommen mit den Palästinensern«. Von den arabischen Israelis stimmt dieser Aussage immer noch eine Mehrheit zu, 55 Prozent. Nur ein Viertel von ihnen sieht das anders.

Fast die Hälfte der jüdischen Israelis, 47 Prozent, unterstützt die Ausweitung der Kontrolle über die Palästinensergebiete einschließlich verstärkter Siedlungstätigkeit bis hin zur Auflösung der Autonomieregierung. Gegenüber einer Umfrage im Oktober 2024 hat sich dieser Anteil, der damals bei 34 Prozent lag, sprunghaft vergrößert. Im selben Zeitraum ist der Anteil der jüdischen Israelis, die sich für die Arbeit an einem Friedensschluss mit »gemäßigten« Palästinensern aussprechen, von 19 auf nur noch elf Prozent gesunken.

Auch nach dem Vorschlag von US-Präsident Donald Trump, die Bevölkerung des Gazastreifens in andere Länder auszusiedeln, wurde gefragt. 62 Prozent der israelischen Juden sind dafür. Allerdings hält nur die Hälfte von ihnen diese Idee auch für praktisch durchführbar. Nur beschämend wenige drei Prozent der jüdischen Israelis lehnen, zumindest dieser Umfrage zufolge, den Vorschlag als »unmoralisch« ab. Von den »linksgerichteten« Wählern – darunter möge man sich in Israel nicht zuviel vorstellen – sind es auch nur 19 Prozent. (km)

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