Die Botschaft
Von Marc Hieronimus
Als die Nacht gekommen war, sprach der Herr wieder zu ihm. Reuter war gerade zu Bett gegangen. Was willst du, Herr, fragte er und wandte gleich ein, dass er morgen vormittag einen wichtigen Termin bei Frau Bongartz habe, seiner Sachbearbeiterin bei der Volkssparkasse Dünnwald-Holweide. Nach langem Zögern wollte sie ihm endlich das Rezept für ihren Zwiebelschnaps verraten. Der Herr bedeutete ihm mit einem ernsten Blick, dass es Wichtigeres gebe. Er habe ihn auserkoren, in die Stadt zu ziehen und seinen Namen zu preisen. Reuter merkte an, dass sie sich noch gar nicht vorgestellt hätten. Der Herr fuhr sich verlegen durch den Bart. Ich bin übrigens Reuter, insistierte Reuter. Er mochte den Herrn ja gern, aber es war wieder mal spät, und dieses ganze Getue und nie ein klares Wort, das konnte schon anstrengend sein. »Kauf mir zwei Pfund Birnen, Conference, Handelsklasse A, ökologischer Landbau«, so klang ein Auftrag, da würde er auch nicht auf den Cent sehen. Der Herr hob wieder an. Ihm war etwas Besseres eingefallen.
– Zieh in die Stadt, und verkünde meine Botschaft!
– Die wäre?
– Bitte?
– Na, die Botschaft. Ich kenne mich da gar nicht aus. Die einen sagen so, die anderen so. Ich brauche ein paar griffige Sätze, die …
Da geschah etwas Wunderbares. Reuter wurde die Botschaft zuteil. Er war zugleich überall und nirgends, zeitlos, allem Irdischen enthoben, ein Zustand, wie er ihn sonst nur von den Abenden mit Frau Bongartz und dem Zwiebelschnaps kannte. Nun aber sah er auch ganz klar, welchen Weg die Menschheit beschreiten musste, um endlich das Seelenheil zu erlangen. Es blieb das Problem der Formulierung. »Hört auf mit dem Mist«, schlug er vor. Der Herr war nicht überzeugt. »Lasst den Scheiß!«? Kopfschütteln.
– Herr, wenn nicht mal du weißt, wie ich das unter die Leute bringen soll, müssen wir Hilfe suchen. Vielleicht googeln wir mal.
– Quatsch, ich weiß alles! So verkünde ihnen denn: Der Herr will, dass die Menschen ötznbwztiä wers öaäiwr wätz shg lz a öwezr kvb swt asz!
– Was?!
In dem Moment ging das Telefon: Die Sachbearbeiterin der Volkssparkasse wollte wissen, wo er bleibe. Zeitlos hin oder her, das Schwätzchen mit dem Herrn hatte die ganze Nacht gedauert. Reuter sprang in seinen Anzug. Frau Bongartz war der Schlüssel. Vielleicht könnte er sie dem Herrn mal vorstellen. Sie würde ihm bestimmt was zu sagen haben.
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