Dein roter Faden in wirren Zeiten
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Aus: Ausgabe vom 22.03.2025, Seite 2 / Inland
Migration

»Wir schaffen Aufmerksamkeit für die Brutalität«

Die Rechten meinen, ohne Migration wäre alles besser. Der »Fonds für Bewegungsfreiheit« stellt sich dem entgegen. Ein Gespräch mit Kerem Schamberger
Interview: Roland Zschächner
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Festung Europa: Griechische Patrouille nahe dem Pazarkule-Grenzübergang zur Türkei (Kastanies, 12.3.2020)

Anfang März haben Sie im Berliner Theater Hebbel am Ufer den »Fonds für Bewegungsfreiheit« beworben. Sie sagten, damit ließen sich rechtskonservative Kräfte am einfachsten ärgern. Warum?

Wenn man sich die öffentliche Debatte der letzten Monate anschaut, bekommt man den Eindruck, dass alle gesellschaftlichen Probleme mit Migration zusammenhängen. Keine Termine beim Zahnarzt, keine Kitaplätze, keine Wohnung? Am Ende ist immer »der Ausländer« schuld. Anstatt zum Beispiel darüber zu sprechen, warum aufgrund der Schuldenbremse Investitionen in die marode Infrastruktur des Landes verunmöglicht werden, findet eine Ethnisierung allen Unheils statt.

Es wird der Anschein erweckt, dass man nur die deutschen Grenzen dichtmachen müsse und schon sei alles besser. Diesem fast schon quasi-religiösen Heilsversprechen setzen wir eine ganz andere Erzählung entgegen und geben den Menschen im Rahmen des Fonds die Möglichkeit, für Geflüchtete, die an den Grenzen kriminalisiert und eingesperrt werden, zu spenden, damit sie sich Anwälte nehmen und sich verteidigen können. Diese niederschwellige und offensive Form der Solidarisierung dürfte rechtskonservativen Kräften nicht unbedingt gefallen.

Die EU verkauft sich als Friedensprojekt. Dabei wird nicht nur das Militär in bisher ungeahntem Maße aufgerüstet, aus der Festung Europa heraus wird Krieg gegen Migration geführt.

Von der Abschottung profitiert die Rüstungsindustrie ganz massiv. Es geht dabei nicht nur um Mauern und Zäune, sondern um eine Bandbreite an Technologien, die auch im Krieg verwendet werden: Radarsysteme, Drohnen, Überwachungskameras, Fingerabdrucksysteme. Der globale Markt für Grenzsicherung hatte im Jahr 2024 eine Größe von knapp 30 Milliarden US-Dollar.

Hinzu kommen in Europa mehr als 400 gefängnisähnliche Lager, in die Geflüchtete gesteckt werden. Sie werden oft teil-privat betrieben. Besonders perfide: Viele Konzerne, die Nutznießer dieser politischen Ökonomie der Migration sind, sind zugleich wichtige Waffenlieferanten in den Mittleren Osten und nach Nordafrika. Sie verdienen also doppelt: bei der Vertreibung und bei der Abwehr von Menschen.

Sie haben von der Kriminalisierung gesprochen. Was bedeutet das für Geflüchtete?

In Europa sitzen Tausende Menschen, die vor Krieg, Verfolgung oder wirtschaftlicher Ungerechtigkeit geflohen sind, hinter Gittern. Meist wird ihnen »Beihilfe zur unerlaubten Einreise« vorgeworfen, etwa weil sie die Steuerpinne eines Bootes in der Hand gehalten haben, auf dem noch andere Menschen saßen. Oder weil sie einen Notruf mit ihrem Handy abgesetzt haben. Oder Wasser und Brot an Bord verteilt haben.

Allein in Griechenland sitzen wegen solcher Vorwürfe mehr als 2.000 Menschen in Haft. Studien zeigen, dass sie in Schnellverfahren von ca. 30 Minuten zu durchschnittlich 46 Jahren Haft und Geldstrafen von mehr als 300.000 Euro verurteilt werden. Hasan E., verurteilt zu 280 Jahren, Mohamad H. verurteilt zu 142 Jahren, Ufuk A. 8 Jahre und 4 Monate. Sie alle haben einen Namen, ein Schicksal und eine Geschichte, die fast niemand kennt.

Wie kann der Fonds für Bewegungsfreiheit helfen?

Der Fonds verfolgt zwei große Ziele. Zum einen leistet er praktische Hilfe für Geflüchtete, die kriminalisiert werden, hinter Gittern sitzen, die sich keine Anwältin leisten können, keine Telefonkarte und keine eigenen Klamotten haben. Dafür sammeln wir Geld. Zum anderen schaffen wir Aufmerksamkeit für diese Brutalität an den europäischen Außengrenzen. Wenn Ursula von der Leyen den Kampf gegen Schlepper ausruft, dann sind die Betroffenen meist Geflüchtete selbst. Das Problem sind nicht Menschen, die Grenzen überqueren, sondern die staatliche Abschottungspolitik.

Das Recht auf Bewegungsfreiheit ist ein zentrales Grundrecht, denn nur dadurch können viele Menschen überhaupt erst Zugang zu anderen Rechten bekommen. Es gibt ein verbrieftes Asylrecht, aber um dies wahrzunehmen, müssen Asylsuchende erst »illegal« Grenzen überqueren – denn es gibt für sie keine legalen Einreisewege. Wenn die Rechte einzelner Menschen aufgrund ihrer Herkunft beschnitten werden, ist das zutiefst undemokratisch und befeuert den Rechtsruck weiter.

Kerem Schamberger ist Kommunikationswissenschaftler und bei Medico International in der Öffentlichkeitsarbeit für den Bereich Flucht und Migration zuständig

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