Ölpiraterie in der Ostsee
Von Knut Mellenthin
Die deutschen Zollbehörden haben den Tanker »Eventin« beschlagnahmt, den die Bundespolizei seit Januar vor der Küste der Ostseeinsel Rügen festhält. Das meldete das Magazin Spiegel online am Freitag, offenbar aufgrund inoffizieller Informationen. Die Beschlagnahme sei schon am Freitag voriger Woche, dem 14. März, erfolgt. Dadurch sei, so der Spiegel, nicht nur das Schiff der sogenannten Schattenflotte, sondern auch dessen Ladung – 100.000 Tonnen russisches Rohöl im Wert von rund 40 Millionen Euro – in deutsches Eigentum übergegangen. Über die Begründung und Rechtsgrundlage dieser Aneignung steht nichts im Bericht des Magazins, als wäre diese Frage den Redakteuren nicht einmal in den Sinn gekommen.
Die unter der Flagge Panamas fahrende »Eventin« gehört nach letzten verfügbaren Informationen, Stand Mai 2024, einer Reederei in den Vereinigten Arabischen Emiraten. Der Tanker war auf dem Weg vom russischen Hafen Ust-Luga nach Port Said in Ägypten, als in der Nacht zum 10. Januar aus noch unbekannter Ursache die Kontroll- und Steuerungssysteme ausfielen. Das Schiff befand sich zu diesem Zeitpunkt angeblich in deutschen Territorialgewässern und wurde von mehreren Schleppern auf einen Ankerplatz vor der Küste Rügens gezogen. Das sei »wegen der drohenden Gefahr eines Ölaustritts« geschehen, behauptete der Spiegel am Freitag online. Das ist mit Sicherheit unwahr: Am 11. und 12. Januar hatte das Magazin eine Sprecherin des deutschen Havariekommandos mit der eindeutigen Aussage zitiert, »das Schiff sei dicht, für die Umwelt bestehe keine Gefahr«.
Obwohl die »Eventin« laut Pressemeldungen schon am Abend des 13. Januar wieder manövrierfähig war, untersagte der deutsche Zoll am folgenden Tag die Weiterfahrt. Auf welcher Rechtsgrundlage das geschah, ist unklar. Eine Rolle spielte anscheinend eine Intervention der Dienststelle Schiffssicherheit der Berufsgenossenschaft Verkehr, die zunächst die Seetüchtigkeit des Tankers überprüfen wollte.
Die Rechtslage innerhalb der EU änderte sich, als die »Eventin« Ende Februar auf die Sanktionsliste der Gemeinschaft gesetzt wurde. Nach internationalem Recht ist das jedoch völlig irrelevant, auch wenn in deutschen Medien Empörung bebt, dass Russland »trotz Sanktionen weiter Öl in alle Welt verschifft«. Völkerrechtlich illegal ist nicht der Verstoß gegen solche Strafmaßnahmen, sondern deren Verhängung ohne Legitimierung durch die Vereinten Nationen. Das ist jedenfalls die Aussage einer Resolution der UN-Vollversammlung, die am 16. Oktober 2002 mit 133 gegen zwei Stimmen – USA und Israel – beschlossen wurde.
Die Beschlagnahmung der »Eventin« ist eine Kampfansage an Russland. So sieht es auch der Spiegel, wo es am Freitag hieß: »Das ungewöhnlich harsche Vorgehen soll aus Sicht des Kanzleramts und des Außenministeriums ein Zeichen an Russland sein, dass Deutschland dem Transit von russischem Öl durch die Ostsee nicht tatenlos zusieht.«
Ob das Magazin sich mit dieser Einordnung auf offizielle oder informelle Äußerungen der Bundesregierung zum aktuellen Vorgehen bezieht, ist nicht bekannt. Das Auswärtige Amt jedenfalls ließ Fragen von jW dazu unbeantwortet. Fakt ist, dass Kanzler Olaf Scholz (SPD) unmittelbar nach einem Gipfeltreffen der an die Ostsee grenzenden NATO-Staaten in Helsinki am 14. Januar ankündigte, man wolle künftig »nicht nur zuschauen, sondern handeln«. Damit ist die Sperrung der Ostsee für russische Schiffe gemeint; das würde völkerrechtlich einen Verstoß gegen die Vereinbarungen der Vereinten Nationen über die »Freiheit der Meere« bedeuten. Realpolitisch wäre ein solcher Schritt ein Spiel mit dem Feuer.
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