Eine Generation nach der anderen
Von Dieter Reinisch
Raja Shehadeh kannte, obwohl er als junger Jurist mit ihm zusammenarbeitete, seinen 1985 ermordeten Vater kaum. Nach dessen Tod machte er sich auf die Suche nach ihm, indem er die hinterlassenen Akten seiner Klagen, Prozesse und gescheiterten Versuche, Rechte für die Palästinenser zu erkämpfen, studierte. Er fand politische Artikel, Pamphlete, Korrespondenzen: »Auch davon hat mein Vater nie gesprochen.«
Aziz Shehadeh war ein engagierter Anwalt, widerständiger Aktivist, einer der ersten und furchtlosesten Verfechter der Zweistaatenlösung und politischer Gefangener. Und er war der Vater des Bestsellerautors Raja Shehadeh. In jungen Jahren war der noch nicht in der Lage, den Mut seines Vaters zu erkennen. Und dieser konnte die Ambitionen des Sohnes nicht würdigen. Der Sohn hat sich dennoch auf die Suche nach dem politischen und juristischen Leben seines Vaters gemacht. Entstanden ist eine besondere (Auto-)Biographie, in der der Autor auch die Beziehung zu seinem Vater und die bis dato ungeklärten Umstände von dessen Ermordung aufarbeitet.
Doch das Buch ist mehr: eine informative Geschichte der Unterdrückung der Palästinenser in der Zeit der Herrschaft des jordanisch-haschemitischen Königreichs in den beiden Jahrzehnten nach der Nakba 1948. Darüber ist deutschen Lesern ziemlich wenig bekannt. Anfänglich versuchte Aziz Shehadeh, die Realitäten zu akzeptieren und in deren Rahmen für die Rückkehr der Palästinenser zu kämpfen. Später wurde er ein früher Vorkämpfer für einen palästinensischen Staat. Anschaulich beschreibt der Autor, wie seine Familie die Unterdrückung durch den jordanischen Staat erlebt hat.
Das Königreich war nach dem Ende des britischen Kolonialismus im Nahen Osten durch London als kolonialer Nachlassverwalter eingesetzt worden. Ein ehemaliger britischer Offizier baute im Westjordanland eine Beduinenarmee auf, die die Interessen Jordaniens, Israels und Großbritanniens durchsetzen sollte – und nicht die der palästinensischen Einwohner. Aziz Shehadeh versuchte, dagegen mit juristischen Mitteln und politischen, inhaltlich durchaus gemäßigten Pamphleten anzukämpfen. Dadurch wird er selbst zum Ziel der Repression: Sein Engagement führt schlussendlich in jordanische Haft irgendwo in der Wüste weit östlich von Amann.
»Recht als Widerstand zu begreifen« war die Motivation von Aziz Shehadeh. Auf der Suche nach seinem Vater erkennt sich der Sohn zunehmend selbst. Auch er wollte Recht als Mittel des palästinensischen Widerstands verwenden – und wurde wie der Vater Anwalt. Doch beide mussten auf ihren eigenen, persönlichen Wegen die sich wiederholenden Rückschläge im Kampf für die Selbstbestimmung des palästinensischen Volkes erleben. Erfahrungen, die eine Generation nach der anderen seit 1948 bis heute macht, geschildert in der ganz persönlichen Geschichte eines Juristen, der an die Kraft des Rechts glaubte und daran scheiterte. Ein kurzweiliges, brisantes und höchst lesenswertes Buch.
Raja Shehadeh: Wir hätten Freunde sein können, mein Vater und ich. Edition W, Neu-Isenburg 2025, 174 Seiten, 20 Euro
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