Hinter serbischen Gittern
Von Freya Fraszczak
Im Zuge der Protestwelle, die Serbien seit dem Einsturz des Vordachs eines Bahnhofs in Novi Sad bewegt, sind am 14. März sechs Aktivisten und Studenten verhaftet worden: Lazar Dinić (23), Mitglied der studentischen STAV-Bewegung, sowie fünf Mitglieder der politischen Organisation »Bewegung Freier Bürger« (PSG): Davor Stefanović (23), Mladen Cvijetić (25), Srdjan Djurić (27), Lado Jovović (44) und Marija Vasić (50). Ihnen wird die Planung eines Staatsstreichs vorgeworfen. Sie befinden sich im Gefängnis von Novi Sad, durften bisher nur mit ihren Anwälten kommunizieren und keinen Kontakt zu ihren Familien aufnehmen. Die Festnahmen wurden live in einigen von der regierenden Serbischen Fortschrittspartei (Srpska napredna stranka, SNS) kontrollierten Medien übertragen, die Aktivisten als Terroristen präsentiert.
Die Inhaftierten hatten sich am 12. März in einem der Büros des PSG versammelt, um die Belgrader Großdemonstration vom 15. März zu besprechen, wobei sie abgehört wurden. Die serbischen Behörden geben keine Auskunft über die Entstehung der Aufnahmen. In dem aufgezeichneten Gespräch wurden Gedanken über die Planung der Demonstration, Einschätzungen zur Anzahl der Teilnehmenden und Verhalten bei Zwischenfällen ausgetauscht. Einige der Anwesenden waren mit dem Vorschlag einverstanden, das Gebäude des Nationalen Fernsehens RTS zu besetzen und in einer Livesendung Menschen dazu aufzurufen, die Idee einer provisorischen Regierung zu unterstützen. Überlegt wurde auch, den Eingang des Senders zu blockieren, um die Polizei am Eindringen zu hindern. Lazar Dinić warf ein, diese Art von Planung sei illusorisch, da er mehr als 200.000 Teilnehmer erwarte, und niemand in der Lage wäre, die Massen zu kontrollieren.
Am 13. März wurden die Aufnahmen, die als Grund für die Verhaftungen dienen, in den unter SNS-Kontrolle stehenden Medien Pink und Informer veröffentlicht. Da es sich um Beweismaterial handelt, darf es aus rechtlicher Sicht vor Abschluss des Prozesses und der Ermittlungen nicht veröffentlicht werden, so die Anwälte der Inhaftierten gegenüber den Medien. Darüber hinaus erklären sie, das Gespräch falle nicht in den Bereich der Straftat, für den ihre Mandanten angeklagt sind. Die Vorbereitung einer Handlung gegen die verfassungsmäßige Ordnung müsse ein aktives Vorgehen sein, nicht die Äußerung der eigenen Meinung. Die Anwälte beantragten die Entlassung der Inhaftierten, weil ihnen der Zugang zu den Akten verwehrt wurde, auf deren Grundlage die Verhaftungen durchgeführt wurden. Der Antrag wurde abgelehnt.
Schon Tage vor der Festnahme war medial eine chauvinistische Kampagne gestartet worden, die Studenten und Aktivisten vorwarf, sie würden ein Blutvergießen bei den bevorstehenden Protesten planen. Die SNS forderte die Bevölkerung auf, nicht daran teilzunehmen. Trotz der Aufforderungen kamen Hunderttausende und demonstrierten friedlich. Die Inhaftierten gelten als Sündenböcke, um die Organisation neuer Proteste zu verhindern und Angst in der Bevölkerung zu verbreiten.
So wurde auch auf Lazar Dinićs Familie seit Beginn der Proteste Druck ausgeübt. Seine Eltern, beide Sportlehrer, wurden von örtlichen Behörden darauf hingewiesen, sie würden ihren Arbeitsplatz verlieren, wenn sie und ihr Sohn weiterhin demonstrierten. Seit der Verhaftung stehen sie unter Schock und sind besorgt um Lazars Sicherheit. In den ersten Tagen nach der Festnahme, die sie rechtlich unbegründet sehen, protestierten sie vor dem Gericht in Novi Sad und organisieren weiterhin Kundgebungen, um Lazars Freilassung zu fordern. Lazar Dinić studiert Kommunikationswissenschaften und Journalismus an der Philosophischen Fakultät in Novi Sad und schreibt für ein lokales Magazin. Er hat keinen kriminellen Hintergrund, wurde noch nie verhaftet, und es wurde nie gegen ihn ermittelt.
Die Aktivisten und Demonstranten fordern bereits seit Monaten Aufklärung über den Einsturz des Vordachs, bei dem 15 Menschen starben, und dass die dafür Verantwortlichen rechtlich verfolgt werden. Am Freitag erlag ein weiteres Opfer seinen schweren Verletzungen. Die Mehrheit der parlamentarischen Opposition rief vergangene Woche zur Bildung einer »Regierung des öffentlichen Vertrauens« auf. Gemeinsam mit den sozialen Bewegungen wolle man einen Kandidaten für das Amt des Premierministers der Übergangsregierung sowie mindestens einen stellvertretenden Premier vorschlagen, hieß es auf der gemeinsamen Pressekonferenz am Donnerstag. Tags zuvor war der Rücktritt des bisherigen Regierungschefs Miloš Vučević bestätigt worden.
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Leserbrief von Fred Buttkewitz aus Ulan - Ude (24. März 2025 um 21:33 Uhr)Das alles erinnert an den Maidan in Kiew. Auch damals ging es darum, einen russlandfreundlichen Präsidenten zu stürzen. In Georgien demonstriert man gegen eine nicht westlich genug gestimmte Regierung, welche mit ihrer Parlamentsmehrheit dafür sorgte, dass die Quellen der Finanzierung von NGO offengelegt werden müssen. Die Organisation von landesweiten Protesten kostet nämlich auch Geld. Und in Serbien und Georgien dauern sie bereits Monate. Außerdem findet sich auch nicht jedes Mal eine Frau Nuland, die sich verplappert. »Einige der Anwesenden waren mit dem Vorschlag einverstanden, das Gebäude des Nationalen Fernsehens RTS zu besetzen und in einer Livesendung Menschen dazu aufzurufen, die Idee einer provisorischen Regierung zu unterstützen.« Erstaunlich, dass die Autorin sich bei der Formulierung dieses Satzes nicht den Arm ausgerenkt hat. Im Klartext: Einige Teilnehmer wollten durch den Einsatz von Gewalt über das Fernsehen zum Sturz der gewählten Regierung aufrufen. So etwas wäre überall in Europa strafbar, wogegen sich die Überschrift »Hinter serbischen Gittern« allerdings empört. »Lazar Dinić warf ein, diese Art von Planung sei illusorisch, da er mehr als 200.000 Teilnehmer erwarte, und niemand in der Lage wäre, die Massen zu kontrollieren.« Da besprechen also Organisatoren, ob sie die Massen unter Kontrolle haben oder nicht. Wenigstens mit einem Satz hätte man in dem Artikel erwähnen können, dass es insbesondere unter der älteren Bevölkerung Serbiens auch viel Unterstützung für den serbischen Präsidenten gibt, daher ja auch die Wahlergebnisse, welche man nun mit Gewalt vom Tisch fegen will. Die Korruption in Serbien wird auf keinen Fall geringer werden, wenn dort durch einen Umsturz Politiker an die Macht kommen, die sich in Brüssel Küsschen mit Ursula von der Leyen austauschen und einen Selenskij finanzieren.
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