»Ein Verkehrsteilnehmer, dem man nicht trauen kann«
Interview: Max Grigutsch
Techkonzerne entwickeln weltweit ihre Robotaxidienste weiter. Können wir bald überall mit selbstfahrenden Taxis rechnen?
Das wäre keine gute Idee. Ich bin schon des öfteren in selbstfahrenden Taxis gefahren und war eigentlich beeindruckt von Waymo, dem führenden Robotaxidienst in den USA. Aber in San Francisco standen wir zuletzt in einer Autoschlange, bis unser Auto plötzlich beschloss, in die Gegenspur zu fahren. Es war sehr beängstigend. Zum Glück »bemerkte« unser Auto seinen Fehler und hielt an. Bis dahin hatte es alle anderen Verkehrsteilnehmer verärgert. Das passiert nach etwa 15 Jahren Entwicklung autonomer Fahrzeuge. Waymos sind die besten Robotaxis der Welt. Dieselbe Software läuft in allen anderen Robotaxis in den USA, vermutlich würden sie alle denselben Fehler machen. Die oft propagierte Idee, dass diese Autos den Verkehr sicherer machen, ist keineswegs bewiesen. In der Tat ist das wahrscheinlich nicht der Fall.
Sie verweisen auf die »soziale Natur des Verkehrs«, um gegen die Perspektive zu argumentieren, dass selbstfahrende Autos sicher sind oder sein können. Was meinen Sie damit?
Ein Teil meiner Forschung besteht darin, Details menschlichen Verhaltens zu untersuchen. Wenn man Menschen im Straßenverkehr beobachtet, stellt man ein gegenseitiges Vertrauen fest. Wir gehen davon aus, dass andere Menschen die Welt auf die gleiche Weise wie wir wahrnehmen: dass sie mich sehen, meine Körpersprache lesen können, meine Signale verstehen – zum Beispiel, wenn ich anderen die Vorfahrt signalisiere. Selbst an Orten, an denen Verkehr ganz anders funktioniert, ist dessen soziale Natur eine Konstante.
Eine gemeinsame Welt mit Robotern gibt es nicht. Sie brechen das implizite Vertrauen, das wir mit anderen Verkehrsteilnehmern teilen. Ich vergleiche es etwa damit, wenn man auf der Straße einem Hund begegnet und merkt: Ich kann nicht darauf vertrauen, dass dieser Hund die Regeln der Straße versteht. Wenn man jedoch einem Robotaxi begegnet, haben die Menschen keine andere Wahl, als zu vertrauen. Die autonomen Autos können jedoch nur die Dinge erkennen, von denen die Ingenieure entschieden haben, dass dies die relevanten Kategorien im Straßenverkehr sind. Sie können nicht verstehen, was Menschen tun und welche Signale sie geben.
Wie gehen die Behörden mit Robotaxis um?
Viele Verkehrsunfälle werden verwirrenderweise auf »menschliches Versagen« zurückgeführt. Wenn man Fehler als »menschlich« einstuft, was wäre dann besser, als den Menschen durch Roboter zu ersetzen? Aber wenn man die Statistik umdreht, sieht man, wie viele Kilometer Menschen sicher zwischen schweren Unfällen zurücklegen. Plötzlich sieht die Sache nicht annähernd so schlimm aus. Die Propaganda der Technologen hat den gesunden Menschenverstand überholt. Sie ist Teil des internationalen Wettlaufs um künstliche Intelligenz (KI) geworden. Selbstfahrende Autos sind ein Leuchtfeuer für die KI-Community. Es ist fast unmöglich, gegen eine solche Lobby anzukommen. Ich habe es in den letzten Jahren versucht, aber fast nichts bewirkt.
In Deutschland hat Mercedes einen »großen Durchbruch« angekündigt: Sie dürfen jetzt türkisfarbene Lichter verwenden, um ihre selbstfahrenden Autos für andere Verkehrsteilnehmer zu kennzeichnen. Werden autonome Fahrzeuge damit sicherer?
Ich glaube nicht, dass es ein großer Durchbruch ist. Andere Menschen sollten wissen, dass ein Auto autonom fährt. Wenn Sie in Kalifornien Leute interviewen, werden sie Ihnen sagen, dass Teslas, die häufig autonom fahren, Verkehrsteilnehmer einer bestimmten Art geworden sind. Sie sind Verkehrsteilnehmer, denen man nicht trauen kann. Es ist also gut, dass Mercedes diese Lichter für ihre Fahrzuge etablieren will. Aber was sollen andere Verkehrsteilnehmer tun? Es ist völlig unklar, wie sich das auf ihr Fahrverhalten auswirken sollte. Es löst nicht die Kernprobleme.
Erik Vinkhuyzen ist Sozialwissenschaftler und hat sieben Jahre lang in der Industrie für selbstfahrende Autos gearbeitet. Er ist Gastforscher am King’s College London.
links & bündig gegen rechte Bünde
Jetzt den kostenlosen jW-Newsletter abonnieren – täglich das Beste aus der Tageszeitung junge Welt, direkt in Ihr Postfach. Ihre E-Mail-Adresse wird natürlich niemals an Dritte weitergegeben.
-
Leserbrief von Reinhard Hopp aus Berlin (26. März 2025 um 12:03 Uhr)Die wichtigste Botschaft dieses Artikels lautet: Je mehr Entscheidungen die Technik übernimmt, desto reduzierter und abhängiger wird der Mensch; eine der zentralen Forderung der Aufklärun – sapere aude – völlig gegenläufiger Prozess der Selbstentmündigung. Die Folgen: In Millionen Jahren der Evolution erworbene Fähigkeiten werden binnen nur weniger Jahre unwiederbringlich erloschen sein. Am verheerendsten jedoch wird sich der zunehmende Identifikations-, Solidaritäts- und Empathie-Verlust, also der Verlust an genuiner Menschlichkeit, gesamtgesellschaftlich auswirken.
- Antworten
-
Leserbrief von Onlineabonnent/in Heinrich H. aus Stadum (25. März 2025 um 23:30 Uhr)»Aber was sollen andere Verkehrsteilnehmer tun?« Ganz einfach, KI-Einwegdrohnen, die situationsabhängig den Akku von Autos mit türkisfarbenen Lichtern anzünden, kann auch den Motor verschmoren sein. Türkisfarbene Lichter Pflicht für alle selbstfahrenden Selbstbeweger.
- Antworten
Ähnliche:
- Nathan Frandino/REUTERS02.09.2023
R2-D2 übernimmt
- Christoph Soeder/dpa20.09.2019
Wende per Autopilot
- Andreas Gebert/dpa09.04.2019
Korso gegen Uber
Regio:
Mehr aus: Kapital & Arbeit
-
Leere Kanister in La Paz
vom 26.03.2025 -
Gold zu Geld machen
vom 26.03.2025 -
Ministerin geht ans Eingemachte
vom 26.03.2025