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Aus: Ausgabe vom 29.03.2025, Seite 9 / Kapital & Arbeit
PFAS

3M verseucht Zwijndrecht

Belgien: Neue Studie stellt hohe Werte von »Ewigkeitschemikalien« (PFAS) bei Anwohnern einer Fabrik des US-Konzerns fest
Von Gerrit Hoekman
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Bei allen getesteten Anwohnern der Fabrik wurden »Ewigkeitschemikalien« im Blut nachgewiesen

Es ist eine beunruhigende Zahl. 8.568 auf PFAS untersuchte Einwohnerinnen und Einwohner im Umkreis von fünf Kilometern um die Fabrik des US-Konzerns 3M im belgischen Zwijndrecht weisen Rückstände im Blut auf. Bei der Hälfte ist der Wert sogar deutlich zu hoch. Das sind zehn Prozent der in Frage kommenden Bevölkerung. »Langfristig können nachteilige Auswirkungen auf die Gesundheit nicht ausgeschlossen werden«, warnt das Gesundheitsamt in Flandern, das die Untersuchung in Auftrag gegeben hat.

PFAS ist die Abkürzung für »per- and polyfluoroalkyl substances«, lies: per- und polyfluorierte Alkylverbindungen. Diese Stoffgruppe gehört zu den sogenannten Ewigkeitschemikalien und umfasst mehr als 6.000 verschiedene Stoffe, viele von ihnen hochgiftig. Sie sorgen etwa dafür, dass Kleidung und Schuhe wasserabweisend sind oder das Spiegelei in teflonbeschichteten Pfannen nicht anbrennt. Die Natur kann sie nicht abbauen: Sind sie einmal in Boden oder Wasser, bleiben sie dort praktisch für immer.

Über die Nahrung gelangen sie in Körper und reichern sich an. Sie führen zu einem geschwächten Immunsystem, stören den Hormonhaushalt und erhöhen das Risiko auf Nieren- und Hodenkrebs. In Frankreich sind PFAS ab Anfang 2026 verboten. Nur in Küchenutensilien sind sie noch erlaubt, aus Furcht, ein Verbot könnte in der Branche zum Verlust von vielen Arbeitsplätzen führen. Die EU diskutiert ebenfalls über ein Verbot. Sie trifft dabei auf den Widerstand der Hightechindustrie.

Die Ergebnisse der Tests zeigten in Verbindung mit den zahlreichen Messungen, die bereits im Boden, in der Luft und im Wasser vorgenommen wurden, »dass die PFAS-Belastung in dieser Region zu hoch ist und wir uns in einem besorgniserregenden Gebiet befinden«, zitierte das Gesundheitsministerium die Umweltmedizinerin Hilde Van De Maele. Sie rät den Anwohnern, weiterhin keine Eier aus der Region zu essen oder Grundwasser zu trinken. Im Vergleich zu einer kleineren Untersuchung im Jahr 2021 ist der durchschnittliche PFAS-Wert leicht gesunken, was darauf hindeute, dass die Warnung effektiv sei.

Die Schuld liegt beim US-Konzern 3M. Die Fabrik sei eindeutig mit einer erhöhten PFAS-Belastung der Anwohner verbunden, stellt die Studie fest. »Je näher die Fabrik, desto höher der PFAS-Gehalt im Blut.« Auch wer schon länger in der Region lebe, weise höhere Werte auf. Seit den 1970ern stellt das Unternehmen aus Saint Paul im US-Bundesstaat Minnesota in Zwijndrecht Leim, Gummi und Kühlmittel her. Die Bevölkerung wusste jahrzehntelang nicht, dass dabei giftige Chemikalien verwendet werden. Erst seit vier Jahren ist die Verschmutzung der Region mit PFAS nachgewiesen.

Die Auswirkungen des Umweltskandals sind vor allem für die Landwirte katastrophal, besonders für diejenigen, die unter dem Label »biologisch« ackern. Einige von ihnen verloren fast die Hälfte ihrer Kunden. Bisher hat die Bodensanierung überhaupt noch nicht begonnen. Spätestens Anfang 2026 gehe es los, heißt es aus dem Unternehmen. 3M spiele permanent auf Zeit, beklagen Umweltgruppen. Jetzt verhindert eine fehlende Autobahnbrücke, über die der giftige Boden abtransportiert werden kann, den Beginn.

Es geht um 450.000 Tonnen Erde oder, anders gerechnet, um etwa 14.000 Lkw-Ladungen. Plus 93.000 Tonnen aus den privaten Gärten und Hühnerställen. Es »fehle« noch ein Bauunternehmen, erklärte der Konzern am vergangenen Wochenende gegenüber der Wirtschaftszeitung De Tijd. Im Oktober sei die Brücke aber fertig. Dort wartet dann das nächste Problem: Die Kapazität der Deponien rund um Zwijndrecht ist begrenzt. 3M beteuere zwar stets, helfen zu wollen, versuche aber gleichzeitig, mit Legionen von Anwälten sich vor der Verantwortung zu drücken, sagt ein frustrierter Zwijndrechter laut De Tijd. In der Kleinstadt Decatur im US-Bundesstaat Alabama dauerte es bis zur Sanierung 20 Jahre.

Nach monatelangem Armdrücken mit der flämischen Regierung versicherte 3M im Juli 2022 schriftlich, 571 Millionen Euro in die Sanierung kontaminierter landwirtschaftlicher Flächen und privater Gärten zu stecken – sowie in Maßnahmen, die weitere Verschmutzung verhindern. Doch der Konzern scheint ein säumiger Zahler zu sein, der seinen finanziellen Verpflichtungen, wenn überhaupt, nur unter großem Druck nachkommt.

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