Dein roter Faden in wirren Zeiten
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Aus: Ausgabe vom 31.03.2025, Seite 11 / Feuilleton
Rosa-Luxemburg-Preis

Glanzleistung

An der Seite aller gegen Unterdrückung Kämpfenden: Zum 90. Geburtstag des Schauspielers Rolf Becker am 31. März
Von Arnold Schölzel
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Rolf Becker im März 2019 in Leipzig

Aus der unüberschaubaren Filmographie Rolf Beckers – die Rede ist von mehr als 200 Film- und Fernsehproduktionen – sei hier der Spielfilm »Ich bin ein Elefant, Madame« aus dem Jahr 1968 herausgegriffen. Peter Zadek, dem Becker in den 60er Jahren am Bremer Theater begegnet war, drehte ihn – sehr frei – nach dem vergessenen, aber gerade heute wieder lesenswerten Roman »Die Unberatenen« von Thomas Valentin aus dem Jahr 1963 (Reclam Leipzig 1978): Jugendliche rebellieren gegen die autoritären Nazichargen unter ihren Lehrern, ein Revoltenklassiker. Bei Zadek, der stolz darauf war, sich »nie auf eine Seite geschlagen zu haben«, wird daraus ein sinnfreies surreal-antiautoritäres Spektakel, das im Abfeiern vermeintlicher Anarchie ziemlich zielstrebig Partei ergreift, weil links-antikommunistisch durchwirkt. Anlass für den Film und seine Machart waren bundesweit Aufsehen erregende Schülerstreiks gegen Fahrpreiserhöhungen der Straßenbahn in Bremen. Arbeiter der Stahlhütte unterstützten die Proteste, worauf der Senat von den Erhöhungen Abstand nahm. Bei Zadek kommt das nicht vor.

Der Filmtitel soll vom Tango »Ich küsse Ihre Hand, Madame« hergeleitet sein, warum auch immer. Frei nach Brecht lässt sich nicht nur zu dieser Arbeit Zadeks sagen: Verwirrte Darstellung statt Darstellung der Verwirrung. Auf der Berlinale 1969 – im Jahr, als das Bremer Theater Becker wegen eines großartigen Theaterskandals fristlos feuerte – gab›s dafür schnurstracks einen Silbernen Bären und zugleich von Studenten einen Schmähpreis. Das Besondere: Gedreht wurde in Bremen im »Alten Gymnasium« – einer sich »humanistisch« nennenden Anstalt, die sich noch um 1960 herum bemühte, den Kindern kleiner Angestellter den Zugang zu erschweren. Arbeiter versuchten gar nicht erst, ihre Kinder dort anzumelden. Becker hat dort 1955 Abitur gemacht (der Autor dieses Textes elf Jahre später).

Die kleine, aber wichtige Rolle, die Becker in »Ich bin ein Elefant, Madame« spielt, weist in merkwürdiger Weise auf sein politisches Engagement in den folgenden Jahrzehnten voraus. Die Geschichte geht so: Unter den rebellischen Schülern gibt es einen, der einen politischen Kopf hat und Veränderung über die Schule hinaus statt nur Pennälerunfug will. Er hat Kontakt zu einem Klaus Rohwedder, ein Name, der die Schüler elektrisiert. Warum, ist nicht zu erfahren. Eines Tages ertönt jedenfalls in der Klasse der Ruf: »Rohwedder kommt aus Berlin«. Schnitt - und sehr weit von oben ist zu bombastischem Western-Tutti Becker alias Rohwedder zu sehen, wie er in einem weißen, militärisch wirkenden und oben offenen Gefährt durch eine der überbreiten kaiserlichen Alleen Berlins düst. Bei der Ankunft in Bremen weht an der Kiste eine rote Fahne, und Rohwedder überholt zügig alle Limousinen, die da vor sich hinbummeln. Sein im Parkverbot abgestellter Untersatz, genauer die rote Fahne, wird von einem behelmten Schupo misstrauisch beäugt, aber der traut sich nicht weiter. Soweit, so stumm – bis aufs opernartige Getöse. Es folgen zwei Sprechszenen: Rohwedder gibt den ehrfürchtig lauschenden Schülern knappe Anweisungen zur Demotaktik. Sein letzter Auftritt: Die Schüler wollen den Rauswurf des Schrägsten von ihnen mit einer Schulversammlung verhindern. Rohwedder erklimmt das Podium, wird aber von eben diesem Gymnasiasten zur Schnecke gemacht. Da hatte Zadek wohl eine politische Regienotbremse gezogen. Rohwedder ist organisierte Arbeiterklasse, wirkliche Revolution? Die ästhetische Intuition des Regisseurs war klüger als er selbst.

Denn Rolf Becker ist keinesfalls ein Rohwedder ex Machina, aber er hat immense Autorität. Die erwarb er. Wenn einer klar ist im politischen Denken und Handeln in diesem Land, das sich nicht zuletzt mit geistigem Durcheinander für den ganz großen Krieg präpariert, dann ist es dieser unermüdliche Streiter gegen Nazis und Neonazis, gegen Militarismus und Unterdrückung. Er ist Gewerkschafter, tut etwas und fährt zum Beispiel dorthin, wo er nicht berichtet haben, sondern selbst sehen will, und organisiert Hilfe: 1975 Richtung Vietnam und Laos, 1978 zu den Sandinisten in Nicaragua, 1999 ins von NATO-Fliegern – einschließlich deutschen – bombardierte Jugoslawien. Zusammen mit seinem Freund Eckart Spoo berichtete er davon in dieser Zeitung. Zu Beckers 75. Geburtstag schrieb Spoo: »Seine Glanzleistung war der Transport einer 38 Tonnen schweren Drehbank für den Wiederaufbau der Zastava-Werke – trotz des Embargos, das die NATO über Jugoslawien verhängt hatte. Die Maschine läuft heute noch.« So etwas kostet hierzulande, in Beckers Fall vor allem finanziell, von Rufmordversuchen abgesehen.

Er lässt aber nicht locker. Hier nur eine kleine Auswahl aus den vergangenen Monaten: Im Juni 2024 mit einem Ossietzky-Programm auf der gewerkschaftlichen Friedenskonferenz in Stuttgart. Er zitiert dazu im jW-Interview Machiavelli: »Nicht wer zuerst nach den Waffen greift, ist Anstifter des Unheils, sondern, wer die Ursache dafür geschaffen hat.« Im August ruft er auf dem Methfessel-Fest in Hamburg zur Palästina-Solidarität auf. Im September ist er in der jW-Maigalerie mit der DVD »Das Floß der Verdammten«, im selben Monat bei der Friedenskonferenz von DIDF in Hamburg, im November folgt ein Konzert zur Erinnerung an Franz Josef Degenhardt in Düsseldorf: Becker rezitiert dessen Gedicht »Drumherumgerede« von 1980, das Triumphgenöle eines Altnazis, mit den Zeilen: »Die Perspektive auf die unser Volk bei Strafe seines Unterganges niemals verzichten darf … Die Linie Chemnitz-Krakau-­Kiew«. 11. Januar 2025: Becker verliest auf der Rosa-Luxemburg-Konferenz ein Grußwort von Daniela Klette, 26. Januar 2025: Veranstaltung des Auschwitz-Komitees in der BRD mit ihm in Hamburg zum 80. Jahrestag der Befreiung des Vernichtungslagers.

Wer, wenn nicht Rolf Becker, hätte den Rosa-Luxemburg-Preis verdient? Er erhält ihn am Sonnabend, dem 12. April, um 15 Uhr im Kino Babylon in Berlin-Mitte.

Lieber Rolf, herzlichen Glückwunsch zum 90., großen Dank und auf viele Jahre.

Verleihung des Rosa-Luxemburg-Preises an Rolf Becker, Sonnabend, 12. April 2025, Babylon, Rosa-Luxemburg-Str. 30, 10178 Berlin. Beginn: 15 Uhr, Einlass ab 14.30 Uhr, Eintritt: 15 Euro (ermäßigt), 23 Euro (normal), 30 Euro (soli)

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