Dein roter Faden in wirren Zeiten
Gegründet 1947 Mittwoch, 2. April 2025, Nr. 78
Die junge Welt wird von 3005 GenossInnen herausgegeben
Dein roter Faden in wirren Zeiten Dein roter Faden in wirren Zeiten
Dein roter Faden in wirren Zeiten
Aus: Ausgabe vom 01.04.2025, Seite 9 / Kapital & Arbeit
Generalstreik in Belgien

Kampf fürs Soziale

Breite Unterstützung für landesweiten Generalstreik in Belgien. Regierung mit langer Streichliste
Von Gerrit Hoekman
imago808081702.jpg
Regierung will die Armen schröpfen: Reinigungskräfte und Ladenpersonal am Montag in Antwerpen

Wie dichtete Georg Herwegh im Jahre 1863 so treffend? »Alle Räder stehen still, wenn dein starker Arm es will.« Der kämpferische Vers hat am Montag in Belgien einmal mehr seine Richtigkeit bewiesen. Die Gewerkschaften hatten zum ersten landesweiten Generalstreik seit 2014 aufgerufen. »Warum streiken wir am 31. März? Weil die Regierung die Menschen für dumm verkauft!« erklärte die sozialistische Gewerkschaft ABVV-FGTB auf ihrer Internetseite.

Der Tag verlief nicht ohne Zwischenfälle: In Verviers wurden zwei Streikposten verletzt, als ein Kleinlaster mit geringer Geschwindigkeit eine Blockade der christlichen Gewerkschaft CVC durchbrach. Die Verletzten mussten ins Krankenhaus. An den Flughäfen in Brüssel-Zaventem und Charleroi warteten die Reisenden fast den ganzen Sonntag über in langen Schlangen vor den Schaltern. Sie hofften, noch kurz vor knapp einen Flug zu ergattern, bevor am Montag jeglicher Verkehr unmöglich sein würde. Die rund 250 Flüge aus Brüssel konnten nicht starten.

Und die Eisenbahn bot kaum eine Alternative, die Halle am Hauptbahnhof in Brüssel war gähnend leer, wie auf einem Foto zu sehen war. Brucargo, der Frachtflughafen von Zaventem, blieb geschlossen. »Zu Hause bleiben war unser Aufruf, der befolgt wurde«, freute sich eine Vertreterin der sozialistischen Gewerkschaft. Sowohl in Flandern als auch in der Wallonie war der öffentliche Nahverkehr stark beeinträchtigt. In Charleroi fuhr nichts mehr, in Antwerpen lediglich ein Viertel. In den anderen Städten erschien maximal die Hälfte der Straßenbahnen und Linienbusse an den Haltestellen. In Brüssel verkehrten nur die U-Bahn-Linie 1, vier Straßenbahn- und fünf Buslinien, meldete die Nachrichtenagentur Belga.

Auf der Nordsee hatten bereits am Sonntag abend Schiffe auf Reede gelegen. Sie konnten nicht in die Häfen von Gent und Antwerpen einfahren, weil viele Lotsen, Schleusenmeister und Besatzungen der Schlepper im Ausstand waren. »Inzwischen warten in Antwerpen bereits rund 30 Schiffe darauf, in den Hafen einzulaufen oder ihn zu verlassen«, sagte eine Sprecherin des Hafens am Montag morgen gegenüber dem öffentlich-rechtlichen flämischen Sender VRT Nws. Einige Autofähren über die Schelde und den Kanal Gent–Terneuzen fuhren ebenfalls nicht. Die Branchenzeitung Nieuwsblad Transport berichtete von erheblichen Verzögerungen in den Lieferketten. Auch die Postzustellung stotterte.

Bei Volvo-Trucks in Gent stand die Produktion weitgehend still. Das Unternehmen hatte, wie auch andere Firmen, von sich aus beschlossen, die Bänder am Montag nicht anlaufen zu lassen. In der Brüsseler Nieuwstraat, der größten Einkaufsmeile in Belgien, blockierten Streikende mehrere Geschäfte. »Die Regierung will die Sonntagsarbeit einem normalen Arbeitstag gleichstellen. Außerdem will sie den Nachtarbeitstarif erst ab Mitternacht anwenden, was wiederum die Beschäftigten im Vertrieb treffen wird«, erklärte Deniz Agbaba von der sozialistischen Handels- und Dienstleistungsgewerkschaft BBTK/SETCA gegenüber VRT Nws. Die Regierung richte ein »soziales Blutbad« an. In Mons bewegte sich nach Gewerkschaftsangaben nichts mehr. Alle Branchen waren betroffen. »Eine solche Mobilisierung habe ich schon lange nicht mehr erlebt«, freute sich Frédéric Michel, Gewerkschafter der FGTB laut Belga. In der ganzen Wallonie waren die Industriegebiete blockiert.

Unterdessen steuerten 20 Studierende der Universität in Leuven auf ihren Fahrrädern nach und nach die Streikposten in der Region an und verteilten selbstgebackene Plätzchen: »Wir wollen aus unserer Blase herauskommen und zeigen, dass wir die Streikenden unterstützen.« An den Universitäten fielen zahlreiche Kurse und Vorlesungen aus, weil sich die Lehrenden dem Streik anschlossen. In rund 40 Prozent der staatlichen Schulen fand wohl kein Unterricht statt.

»Von Anfang an hat die Koalition das getan, was ihr die Großkonzerne und Superreichen eingeflüstert haben. Am 31. März organisieren die Gewerkschaften einen Generalstreik – um unsere Renten, unsere Löhne und unsere soziale Sicherheit zu verteidigen«, zeigte sich die marxistische PTB/PVDA schon am Freitag auf ihrer Homepage mit den Streikenden solidarisch. »Ohne die Arbeiterklasse kann dieses Land nicht funktionieren. Wir produzieren den Reichtum dieses Landes«, schrieb der PTB/PVDA-Vorsitzende Raoul Hedebouw am Sonntag auf X. Die sozialistische Gewerkschaft betonte, der Generalstreik vom Montag sei nur der Beginn eines »Marathons des Widerstands«.

links & bündig gegen rechte Bünde

Jetzt den kostenlosen jW-Newsletter abonnieren – täglich das Beste aus der Tageszeitung junge Welt, direkt in Ihr Postfach. Ihre E-Mail-Adresse wird natürlich niemals an Dritte weitergegeben.

Ähnliche:

  • Demonstration von Verdi und Beamtenbund am Freitag in Berlin
    22.02.2025

    Streiks und klamme Kassen

    Öffentlicher Dienst: Verdi kündigt weitere Ausstände an. Kommunen verweisen auf Finanznot
  • Von drei Uhr am Montagmorgen bis drei Uhr am Folgetag soll die B...
    27.01.2025

    Mit der Geduld am Ende

    Beschäftigte der Berliner Verkehrsbetriebe protestieren mit 24stündigem Warnstreik gegen »Verzögerungstaktiken« des Vorstands
  • Faust hoch vor der zweiten Runde: Mit Verdi organisierte Beschäf...
    07.11.2024

    Schlussspurt im Eisenbahntarif

    Beschäftigte im Nahverkehr in sechs Bundesländern im Ausstand. Beim Omnibusverband Nord stimmen mehr als 98 Prozent für den Erzwingungsstreik

Regio:

Mehr aus: Kapital & Arbeit