Dein roter Faden in wirren Zeiten
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Aus: Ausgabe vom 02.04.2025, Seite 3 / Schwerpunkt
Militarisierung

»Die SPD hat sich immer als Friedenspartei verstanden«

Aufrüstung erhöht die Kriegsgefahr. Von 207 sozialdemokratischen Abgeordneten im Bundestag stimmte nur einer gegen die Kriegskredite. Ein Gespräch mit Jan Dieren
Interview: Max Grigutsch
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Nur wenige Abweichler votierten bei der Abstimmung über die Kriegskredite gegen ihre Fraktionen (Berlin, 18.3.2025)

Sie sind der einzige Abgeordnete der SPD-Fraktion, der am 18. März im Bundestag gegen die Grundgesetzänderungen zum Zwecke der Aufrüstung gestimmt hat, obwohl Ihre Partei federführend daran beteiligt war. Wie kam das?

Vor dieser Entscheidung gab es einige Diskussionen in der Fraktion und in der Öffentlichkeit. Da jetzt alles sehr schnell ging und noch im alten Bundestag beschlossen wurde, waren die Diskussionen nicht so lang, wie sie es sonst gewesen wären. Es gab aber Debatten. Dabei habe ich an diesem »Paket«, das da geschnürt wurde, Kritik geäußert. Im Kern beinhaltet es drei Punkte: das Sondervermögen für Infrastruktur, die Lockerung der Schuldenbremse für die Länder und die Aufhebung der Schuldenbremse für Verteidigungs- und Rüstungsausgaben. Auch über die ersten beiden Punkte lässt sich trefflich streiten. Aber sie halte ich im wesentlichen für richtig. Was ich aber für falsch halte, ist, im Grundgesetz eine Ausnahme für Rüstungsausgaben einzuführen. In einer getrennten Abstimmung über die drei Vorhaben hätte ich wohl den ersten beiden zugestimmt und kann mir vorstellen, dass das einige getan hätten. Die dritte Änderung halte ich aber für zu weitreichend und gefährlich. Denn eine Grundgesetzänderung lässt sich nicht unter einen Vorbehalt stellen, je nachdem, welche Regierung nachher darauf zurückgreifen kann. Deshalb konnte ich dem »Paket« im Ganzen nicht zustimmen.

Auch die anderen Teile dieses »Pakets« werden von einigen Kritikern im Kontext dieser Aufrüstung gesehen. Geht es da nicht um Infrastruktur für das Militär?

Zu welchen Zwecken diese Mittel eingesetzt werden, wird Gegenstand von Auseinandersetzungen sein. Es gibt bestimmte Rahmenvorgaben, aber am Ende wird das politisch diskutiert werden. Aus der Sozialdemokratie werden Leute – richtigerweise – darauf pochen, dass die Ausgaben in die Gesundheitsinfrastruktur sollen, in den öffentlichen Nahverkehr, in Schienen und so weiter. Das brauchen wir seit Jahrzehnten, um marode Infrastruktur zu reparieren oder neue zu bauen, für ein gutes gesellschaftliches Leben. Anderswo wird es aber auch Leute geben, die darauf drängen, dass vor allem Dinge gekauft, gebaut und ausgebaut werden, die vielleicht keinem sinnvollen Zweck dienen. Darum wird es politischen Streit geben.

Welchen politischen Streit gab es in der SPD um die Grundgesetzänderungen? Und vor allem: Welche Reaktionen haben Sie erfahren, als Sie mit Nein gestimmt haben?

Die Reaktionen waren sehr unterschiedlich. Eine deutliche Mehrheit in der SPD hält die Ausgaben für Infrastruktur und die Lockerung der Schuldenbremse für die Länder für richtig. Das war für viele ein Argument, diesem Paket zuzustimmen. Sie sagten: Auch wenn man Kritik an den unbegrenzten Krediten für Verteidigung hat, kann man dem Paket zustimmen, weil die Investitionen so wichtig sind. Deshalb habe ich vorher und nachher auch Fragen bekommen, ob ich das etwa auch für falsch halte. Bei den Verteidigungsausgaben gibt es eine ganze Menge Diskussionen in der Sozialdemokratie: Wie gehen wir mit einer veränderten politischen Weltlage um? Lautet die Antwort, dass jetzt noch mehr in Rüstung gesteckt werden muss? Das ist in der SPD alles andere als einheitlich geklärt. Viele haben auch Sorge vor einer Kanonen-statt-Butter-Politik, dass also an anderen Stellen gekürzt werden könnte, um Verteidigungsausgaben zu finanzieren. Deshalb gibt es in der SPD solche, die so argumentieren: Es ergibt doch Sinn, Kredite für Verteidigungsausgaben aufzunehmen, damit wir uns eben nicht an anderer Stelle um Sozialkürzungen streiten müssen. Dem Argument kann man gut folgen. Ich befürchte nur, wir werden ohnehin darum kämpfen müssen. Das haben wir schon in den letzten Jahren gesehen: Obwohl viel Geld für Verteidigung da war, gab es Rufe nach mehr Sozialkürzungen. Auch unmittelbar vor und nach dieser Abstimmung über die Grundgesetzänderung haben wir das zum Beispiel wieder aus der Union gehört.

Das wird offensichtlich auch SPD-Vertretern bei den laufenden Koalitionsverhandlungen mitgetragen, zum Beispiel wenn es um Kürzungen beim »Bürgergeld« geht.

Auch darum gibt es Diskussionen in der Sozialdemokratie. Wenn ich im Wahlkreis unterwegs bin, frage ich von der SPD Enttäuschte immer wieder: Was müsste die Sozialdemokratie anders machen? Da kommt schon häufiger die Reaktion, dass man den Leuten was wegnehmen sollte, die sich weigern zu arbeiten. Da müsse die SPD härter sein. Auch mehr Abschiebungen werden gefordert. Das folgt erst mal einer wirklichen Stimmung. Deshalb gibt es in der Sozialdemokratie auch Stimmen, die dem folgen wollen und das für richtig halten. Ich teile das nicht. Es ist Aufgabe der Sozialdemokratie, diese Wut aufzugreifen, aber sie in etwas Produktives zu übersetzen. Die Wut wäre richtig angebracht bei Menschen, die keine wirkliche Leistung für unsere Gesellschaft erbringen, sondern sich auf unsere Kosten bereichern, die zum Beispiel Millionen- und Milliardenvermögen haben und trotzdem noch Milliarden an Steuern hinterziehen. Bei denen, die in eine Notlage geraten sind oder vor Krieg fliehen, trifft die Wut die Falschen.

Wie sieht das an der Basis der SPD aus?

Die Rückmeldungen, die ich bisher bekommen habe, fallen sehr unterschiedlich aus. Es gibt Leute, die sich aufs Herzlichste bedankt haben, mir erzählt haben, wie stolz sie sind, dass ich als ihr Abgeordneter so gestimmt habe. Andere sehen das in der Sache differenziert, mal zustimmend, mal kritisierend, zeigen trotzdem Anerkennung. Es gibt auch einige, die mich dafür stark kritisieren.

Gehen wir einen Schritt zurück. Es ist nicht das erste Mal, dass Sie Ihre Stimme gegen Aufrüstung erheben. 2022 waren Sie Mitinitiator des Appells »Demokratie und Sozialstaat bewahren – Keine Hochrüstung ins Grundgesetz!«. Im Bundestag haben Sie damals gegen das »Sondervermögen Bundeswehr« und mehrfach gegen Bundeswehreinsätze gestimmt. Warum dieser starke Fokus auf die Militarisierung?

Eigentlich hatte ich diesen Fokus gar nicht. Mein Ziel als Bundestagsabgeordneter in der SPD-Fraktion war in erster Linie, im Parlament die Kampfbedingungen für bessere Lebens- und Arbeitsbedingungen außerhalb des Parlaments zu verbessern, zum Beispiel durch mehr Mitbestimmung und durch Demokratisierung der Arbeitswelt. Daran habe ich in den letzten drei Jahren vor allem gearbeitet. Dass das Thema Militarisierung und Aufrüstung in den Mittelpunkt – jedenfalls den öffentlichen – gerückt ist, liegt nicht daran, dass ich mich dem gezielt zugewandt hätte. Vielmehr hat eine Verschiebung der Debatte stattgefunden, hin zu mehr Aufrüstung. Das halte ich für eine gefährliche Entwicklung und bin nicht bereit, das mitzumachen.

Warum gibt es diese Entwicklung?

Die Weltlage hat sich verändert, es gibt mehr Spannung zwischen den Staaten. Russland ist aggressiver, unter Trump ändern die Vereinigten Staaten weltweit ihr Vorgehen. Der Konflikt zwischen den USA und China spitzt sich zu. Ich verstehe auch diejenigen, die sagen: Wir wollen nicht, dass es zu Kriegen kommt – und deshalb müssen wir stark sein. Aber wer Aufrüstung als Antwort sieht, müsste doch wenigstens erklären, wie das in eine Strategie eingebettet ist, die dem Frieden als Ziel dient. Ich befürchte aber, mehr Rüstung erhöht im Gegenteil die Gefahr von Kriegen. Wir brauchen jedenfalls mehr gesellschaftliche Debatte darüber, welche Wirkung Aufrüstung hat und welche anderen Mittel es gibt, um zum Frieden zu gelangen, zum Beispiel durch Diplomatie und Abrüstungsabkommen. Mein Eindruck ist, dass die Sozialdemokratie dabei eine entscheidende Rolle spielt. Es ist nicht irrelevant, wie sich die SPD in diesen Fragen verhält, auch heute nicht. Ich halte es für notwendig, dass in der Partei zumindest kontrovers diskutiert wird, ob Aufrüstung wirklich die richtige Antwort ist. Mal schauen, wie es 2029 aussieht. Vielleicht gibt es dann ein Parlament mit einer noch stärkeren AfD, womöglich sogar eine AfD-Regierungsbeteiligung. Und denen nehme ich ganz sicher nicht ab, dass sie damit Kriege verhindern wollen. Was wir jetzt an Aufrüstung hervorbringen, die Waffen und Strukturen, darüber kann nachher jede Regierung verfügen, egal, wie sehr sie an Frieden interessiert ist. Das ist eine große Gefahr.

Wenn die SPD bei der nächsten Wahl wieder stärkste Kraft würde, hätten Sie dann Vertrauen, dass mit den Waffen und Militärstrukturen gut umgegangen würde?

Ich kenne viele Leute in der Sozialdemokratie, die eine andere Position haben als ich, von denen ich aber weiß, dass sie damit das Ziel verfolgen, zu Frieden zu kommen. Wie sich die Partei mehrheitlich verhält, hängt von den Debatten ab, die in ihr stattfinden. Diese Debatten finden wiederum nicht in einem luftleeren Raum statt, sondern werden von gesamtgesellschaftlichen Entwicklungen beeinflusst. Da hat sich über die letzten Jahre eine Dynamik entwickelt, die mitunter auch das Maß verloren hat. Das macht es um so wichtiger, diese Diskussionen offener zu führen.

Kommen wir zu Ihrer Person. Sie haben ein Buch über Hegels Rechtsphilosophie geschrieben. Von Hegel kommen viele zu Marx, Sie auch?

Bei mir war es andersrum. Ich habe in der Schulzeit Marx gelesen. Um das besser zu verstehen, wollte ich mich dann mit Hegel auseinandersetzen. Im Studium habe ich das weiterverfolgt, am Ende ist daraus dieses Buch gefolgt. Mich hat das so gereizt, dass ich mich dann mehr mit klassischer deutscher Philosophie auseinandergesetzt habe. Rückblickend würde ich sagen, dass sich das sehr gelohnt hat.

Sie gelten als Linker in der SPD, sind Teil der Leitung der Parlamentarischen Linken der Fraktion. Ursprünglich wollte ich Sie fragen, ob Sie angesichts der aktuellen Debatte noch in der richtigen Partei sind. Jetzt hat die Linkspartei in zwei Landesregierungen die Grundgesetzänderungen im Bundesrat mitgetragen. Daher: Sind Sie vielleicht sogar zu links für die Linkspartei?

Als ich mich entschieden habe, in eine Partei einzutreten, habe ich mir das sehr genau überlegt. Das war keine spontane Entscheidung. Ich glaube, dass es in vielen aktuellen Diskussionen wichtig ist, wie sich die SPD in diesen Fragen verhält. Deshalb ist es wichtig, welche Diskussionen es dazu in der SPD gibt. Ich habe nicht den Eindruck, dass ich da falsch bin.

Wie sollte sich die SPD zukünftig zu Aufrüstung und Krieg verhalten?

Die SPD hat sich immer als Friedenspartei verstanden. Dieser Anspruch ist der richtige. Außerdem schaue ich darauf, was mir Leute sagen, die die Sozialdemokratie nicht mehr wählen, das aber mal getan haben. Viele wünschen sich von der SPD, dass sie wieder die »Partei der Arbeiter« sein soll. Wie sich die SPD in Friedensfragen verhält, ist um so wichtiger in Zeiten, in denen viele erleben, dass die Gefahr von Kriegen zunimmt. Unter Kriegen leiden die Leute am meisten, die nicht darüber entscheiden. Die wenigsten haben ein Interesse daran, dass es tatsächlich zu Kriegen kommt. Es wäre gut, wenn diese Menschen ihre Interessen von der SPD sicher vertreten wüssten.

Jan Dieren ist SPD-Abgeordneter im Bundestag. Als einziger seiner Fraktion stimmte er am 18. März gegen die Grundgesetzänderungen.

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