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Aus: Ausgabe vom 25.03.2025, Seite 4 / Inland
Koalitionsverhandlungen

Pochen auf die »Wende«

Stockende Koalitionsverhandlungen: Politiker von SPD und Union wollen sich nicht unter »zeitlichen Druck« setzen lassen
Von Kristian Stemmler
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Im Reichstagsgebäude laufen die Umbauten für die erste Sitzung des 21. Bundestags (Berlin, 19.3.2025)

Bis Ostern wollte CDU-Chef Friedrich Merz eine Regierung auf die Beine stellen. Doch das könnte knapp werden. Nach zehn Tagen sind die Koalitionsverhandlungen zwischen Union und der SPD diversen Medien zufolge ins Stocken geraten. Demnach wehren sich die Sozialdemokraten vor allem bei den Themen Migration, Steuern und »Bürgergeld« gegen Forderungen der Union. Am Montag abend sollten die von CDU, CSU und SPD gebildeten 16 Arbeitsgruppen die Ergebnisse ihrer Beratungen der sogenannten Steuerungsgruppe vorlegen. Diese will bis Ende der Woche die Ergebnisse der Fachleute zusammenfügen und strittige Themen herausarbeiten.

Politiker beider Seiten räumten die Differenzen ein. So erklärte CDU-Generalsekretär Carsten Linnemann, es gebe »Dissenspunkte«. Er erwarte noch »schwierige Gespräche« mit der SPD, sei aber optimistisch, dass eine Einigung möglich sei. Wenn der Koalitionsvertrag nicht gut werde, »dann ärgern wir uns zwei, drei Jahre«, so Linnemann. Thorsten Frei, parlamentarischer Geschäftsführer der Unionsfraktion, sagte am Montag laut dpa, es gebe »sowohl beim Migrationsthema als auch bei der Innenpolitik insgesamt unterschiedliche Sichtweisen«. Man sei »mitten in den Verhandlungen, und die werden uns vermutlich auch noch einiges abverlangen«, so Frei. Gründlichkeit sei jetzt wichtiger als Schnelligkeit. Man stehe nicht unter Zeitdruck.

SPD-Generalsekretär Matthias Miersch äußerte sich ähnlich. Er gehe davon aus, »dass alle natürlich auch weiter konzentriert arbeiten wollen, aber wir wollen uns auch nicht unter zeitlichen Druck setzen«, sagte er am Montag dem Sender N-TV. Miersch relativierte Berichte über Streit bei den Verhandlungen: Die Fachpolitiker hätten von Anfang an gewusst, dass sie entscheidende Streitpunkte nicht lösen könnten.

Uneinig sind sich Union und SPD laut Medienberichten unter anderem noch bei der Zurückweisung von Asylsuchenden an den Grenzen. Im Sondierungspapier war festgehalten worden, dass es diese nur »in Abstimmung mit unseren europäischen Nachbarn« geben solle. Die Union argumentiert, es reiche aus, dass die Nachbarländer über die Zurückweisungen informiert würden. Die SPD besteht hingegen darauf, dass die Nachbarn mit den Zurückweisungen einverstanden sein müssten. Streit gab es auch bei der Steuerpolitik. Die SPD will Berichten zufolge Entlastungen der Mittelschicht mit Belastungen der Gutverdiener gegenfinanzieren. Dagegen sträubt sich die Union.

Angesichts der stockenden Verhandlungen pochten führende CDU-Politiker auf die im Wahlkampf versprochene »Wende« in der Migrations- oder der Wirtschaftspolitik. Die Menschen hätten bei der Bundestagswahl »Veränderung gewählt und nicht ein ›Weiter so‹«, betonte Thüringens Ministerpräsident Mario Voigt am Montag. Alle Verhandlungspartner müssten »begreifen, dass es wirklich ein fokussiertes Angehen der Alltagssorgen der Menschen braucht«. Auch NRW-Ministerpräsident Hendrik Wüst verlangte einen Politikwechsel in der Migrationspolitik sowie auch in der Wirtschaftspolitik, »damit die Jobs wieder sicher sind«. Dass »fundamentale Änderungen, wie wir sie brauchen«, in der Chefrunde verhandelt würden, sei »nicht verwunderlich«.

Während die Koalitionsverhandlungen weitergehen, findet an diesem Dienstag die konstituierende Sitzung des neuen Bundestags statt. Die erste Sitzung des 21. Bundestags wird mit einer Ansprache des Alterspräsidenten eröffnet, womit nicht der älteste, sondern der dienstälteste Abgeordnete gemeint ist. In diesem Bundestag ist das der Linke-Politiker Gregor Gysi, der seit 1990 ununterbrochen dem Parlament angehört. Auf der Tagesordnung steht zudem die Wahl des Bundestagspräsidiums. Für das Amt der Bundestagspräsidentin ist die frühere Landwirtschaftsministerin Julia Klöckner (CDU) nominiert.

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