Dein roter Faden in wirren Zeiten
Gegründet 1947 Mittwoch, 26. März 2025, Nr. 72
Die junge Welt wird von 3005 GenossInnen herausgegeben
Dein roter Faden in wirren Zeiten Dein roter Faden in wirren Zeiten
Dein roter Faden in wirren Zeiten
Aus: Ausgabe vom 25.03.2025, Seite 8 / Inland
Koalitionsverhandlungen

»Agrarlobbyisten verhandeln über Landwirtschaft«

Koalitionsverhandlungen: Kritik an der Nähe von Unions- und SPD-Abgeordneten zu Kapitalverbänden. Ein Gespräch mit Kathrin Anhold
Interview: Gitta Düperthal
Feldarbeiten_bei_Son_85419893.jpg
Lobbycontrol kritisiert die Nähe von Abgeordneten zur Agrarlobby (Pritzier, 20.3.2025)

Lobbycontrol kritisiert, dass die Unionsfraktion Julia Klöckner als Bundestagspräsidentin nominiert hat. Was spricht dagegen, dass sie dieses Amt künftig innehaben sollte?

Bis jetzt war Klöckner Schatzmeisterin ihrer Partei. Als Bundestagspräsidentin wiederum wäre sie die Chefin der Beamtinnen und Beamten, die die Finanzen der Parteien kontrollieren sollen. Wir sehen darin einen Interessenkonflikt. Selbst wenn sie nicht Schatzmeisterin bleibt, wie sie angekündigt hat, bleibt es schwierig. Sie würde zum Beispiel die Prüfung der hohen Spenden an die CDU im Wahljahr 2025 verantworten. Das wären also Prüffälle noch aus der Zeit, in der Klöckner für die Parteifinanzen der CDU zuständig war. Sie müsste sich mit der Frage, ob alles rechtmäßig war, quasi selbst kontrollieren. So ein Interessenkonflikt kann das Vertrauen in das Amt schädigen.

In der Vergangenheit sei sie durch einseitige Nähe zu Konzernen aufgefallen, konstatieren Sie – zum Beispiel?

2019 beweihräucherte Klöckner den Konzern Nestlé in einem Video des Bundeslandwirtschaftsministeriums, weil das Unternehmen angeblich Zucker, Salz und Fett in seinen Fertigprodukten reduziere. Klöckner hat sich auch zu Luxus-Lobby-Events nach Mallorca einladen lassen. Bei solchen Veranstaltungen stoßen Abgeordnete auf ein elitäres Lobbynetzwerk aus Unternehmen, Lobbyverbänden und Superreichen. Klöckner hat hier kritische Distanz missen lassen, wäre aber als Bundestagspräsidentin dafür zuständig, bei solchen Reisen auf die Einhaltung aller Regeln zu achten.

Klöckner soll für die »Initiative Neue Soziale Marktwirtschaft«, INSM, aktiv gewesen sein. Welche Rolle spielte sie dort?

Die von Arbeitgeberverbänden finanzierte Lobbyorganisation INSM startete etwa eine PR-Kampagne, um unter dem Deckmantel »Bürokratieabbau« bestimmte Gesetze zu verhindern, allen voran das Lieferkettengesetz. Klöckner ließ sich dafür neben anderen als »Bürokratiepatin« einspannen. Die INSM befeuerte mit ihrer Kampagne die ablehnende Debatte zum deutschen Lieferkettengesetz auf Kosten von Menschenrechten und Umweltstandards.

Sie kritisieren insgesamt die personelle Zusammensetzung bei den anlaufenden Koalitionsverhandlungen von CDU, CSU und SPD.

Einige Unionsabgeordnete, die den Koalitionsvertrag aushandeln, sind mit Lobbyverbänden eng verbunden. Agrarlobbyisten verhandeln sowohl über Landwirtschaft als auch über Umweltschutz. Einige Personalien sind schon länger in der Kritik, zum Beispiel der Chef der bayerischen Bauernlobby Günther Felßner. Artur Auernhammer ist Vorsitzender des Bundesverbandes Bioenergie, ebenfalls ein Lobbyverband. Sind die Verhandlungsgruppen unausgewogen, kann es passieren, dass Gemeinwohlinteressen wie Umwelt- und Klimaschutz gegenüber wirtschaftlichen Lobbyinteressen vernachlässigt werden.

Ist die SPD, was solche Interessenkonflikte betrifft, besser aufgestellt?

Die CDU ist wirtschaftsnäher als die SPD, hat insofern entsprechend gefestigtere Verbindungen. Was aber nicht bedeutet, dass die SPD grundsätzlich besser darauf achtet, nicht in Lobbynähe zu geraten. Lobbycontrol wird im Blick halten, dass solche Nähe nicht Überhand nimmt, und Stimmen der Zivilgesellschaft besser gehört werden: zum Beispiel Organisationen, die sich für gesellschaftliche Interessen einsetzen, für Umwelt und Menschenrechte etwa.

Die Union müsse zeigen, »dass sie aus vergangenen Lobbyskandalen wie der Maskenaffäre«, in die der CDU-Politiker Jens Spahn maßgeblich verstrickt war, gelernt habe, mahnen Sie. Sind Sie optimistisch, dass das funktioniert?

Wir hoffen das. Es gibt inzwischen bessere Regeln und mehr Transparenz, was uns hilft, Lobbyeinflüsse nachzuvollziehen. Trotzdem müssen diese Regeln eingehalten und all das muss entsprechend kontrolliert werden, etwa Einträge im Lobbyregister. Jemand wie Julia Klöckner an der Spitze der Bundestagsverwaltung, die damit kein Fingerspitzengefühl gezeigt hat, kann nicht die richtige Person dafür sein.

Kathrin Anhold ist Kampagnenleiterin der Initiative für Transparenz und Demokratie Lobbycontrol

links & bündig gegen rechte Bünde

Jetzt den kostenlosen jW-Newsletter abonnieren – täglich das Beste aus der Tageszeitung junge Welt, direkt in Ihr Postfach. Ihre E-Mail-Adresse wird natürlich niemals an Dritte weitergegeben.

Ähnliche:

  • Im Reichstagsgebäude laufen die Umbauten für die erste Sitzung d...
    25.03.2025

    Pochen auf die »Wende«

    Stockende Koalitionsverhandlungen: Politiker von SPD und Union wollen sich nicht unter »zeitlichen Druck« setzen lassen
  • Friedrich Merz verlangt eine »nationale Kraftanstrengung«. Da wi...
    14.03.2025

    Werben fürs Sterben

    Fastkanzler Merz, SPD und Bündnis 90/Die Grünen verlangen im Bundestag Hunderte Milliarden Euro für Waffen. Linke will bei Reform der Schuldenbremse helfen
  • Die »Letzte Generation« kann mit dem Bauernverband schlecht mith...
    13.01.2024

    Offene Ohren fürs Kapital

    SPD-Bundestagsfraktion will nach Klausur mit Agrarlobby reden. CDU-Bundesvorstand mit IT- und Chemieriesen im Gespräch

Mehr aus: Inland