Dein roter Faden in wirren Zeiten
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Aus: Ausgabe vom 02.04.2025, Seite 8 / Ansichten

Enteignet

Rekorddefizit der Kommunen
Von Arnold Schölzel
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SEZ in Berlin

Die jahrzehntelang steigende Überschuldung von Kommunen ist politisch gewollt. Das Rekorddefizit, das 2024 eingefahren wurde, ist aber zunächst durch verschiedene aktuelle Faktoren bedingt. Wer etwa seit Jahren Kurs auf Hochrüstung nimmt, hat für Schwimmbäder oder funktionierende Schulklos nichts übrig. Oder: Haupttreiber des Defizits sind die Sozialausgaben? Klar, die Armut nimmt zu. Und: Die Spitzenverbände der Kommunen warnten bereits 2022 die Bundesregierung, Ukraine-Flüchtlingen sofort Bürgergeld auszuzahlen. Der Weg in die Arbeit sei so nicht mehr attraktiv. Die Ampelparteien schlugen das in den Wind, der Ruin Russlands stand kurz bevor. Oder: die neuste Krankenhaus-»Reform« einer SPD-Abrissbirne im Gesundheitsministerium. Die Pläne lassen die Städte, Landkreise und Gemeinden Schlimmstes vermuten. Erst hatten sie nur die Wirtschaftskrise, dann auch noch größenwahnsinnige Unfähigkeit des politischen Führungspersonals. Regelmäßig.

Das Plündern der Kommunalkassen hat vor allem System. Es ist im Kapitalismus Teil der Enteignungsstrategie der Herrschenden und der Umverteilung des gesellschaftlichen Reichtums zu ihren Gunsten. Ein Stichwort lautet Privatisierung. Kaum waren DDR und realer Sozialismus weg, begann der große Ausverkauf, wurde das Verscherbeln von kommunalem Wohnungseigentum, von Kultur, Sozial- und Sportstätten zum ideologisch getriebenen Staatssport. Das Experimentierfeld war Ostdeutschland, ein Musterfall ist das Sport- und Erholungszentrum in Berlin, das der Senat bis zur Abrissreife verrotten ließ. Da wird ja in der neuen Herrlichkeit ganz was anderes hinkommen als die »sozialistische Notdurftarchitektur« (Günther Jauch). Bloß Freizeit gibt es dort nicht mehr. Überhaupt Berlin: Zwischen der Verscherbelung städtischer Wohnungen in den 2000er Jahren unter tatkräftiger Beteiligung der PDS/Die Linke und der Mietpreisexplosion plus Wohnungsnot besteht ein kausaler Zusammenhang. Und so in Dresden, in Ruhrgebietsstädten und überall, wo die Stadtkassen auch durch wirtschaftlichen Niedergang geleert wurden.

Die Kommunen sitzen finanzpolitisch am Katzentisch von Bund und Ländern. Der Versuch, sie als »Unternehmen« zu betreiben, richtet sich gegen die sozialen Interessen der Mehrheit, vermindert Demokratie und enteignet durch die Privatisierungen direkt Vermögen der Allgemeinheit. Das war und ist Zweck des Umgangs mit Kommunen. Es geht dabei konkret um einen Kampf zwischen den Interessen der Mehrheit und denen einer Minderheit, die vor Reichtumsblähung kaum noch weiß, wohin mit ihrer Macht. In den USA scheint ein Weg gefunden zu sein: Die Regierung selbst übernehmen, aber nur hobbymäßig und als Kauf-und-Verkaufsanstalt. Das blüht der Bundesrepublik mit den Billionenplänen des Blackrock-Kanzlers auch. Bleibt aber eine Frage des Kampfes – auch um kommunale Macht.

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  • Leserbrief von Istvan Hidy aus Stuttgart (2. April 2025 um 10:09 Uhr)
    In kapitalistisch-juristischen Gesellschaftsordnungen existiert zwar ein durch Steuern finanzierter, kostspieliger Staat, doch sobald ein Individuum auf Probleme stößt, muss es seine Rechte auf eigene Kosten durchsetzen. Der Gesetzgeber kennt rechtlich gesehen nur das Individuum – eine kollektive Verantwortung bleibt außen vor. Gleichzeitig bürdet der Staat den Kommunen zahlreiche Verpflichtungen auf, ohne ihnen die notwendigen finanziellen Mittel bereitzustellen. Besonders eklatant zeigt sich dies bei den Ausgaben im Zusammenhang mit Migration – etwa für Unterbringung, Gesundheitsversorgung und soziale Integration. Es überrascht daher kaum, dass viele Kommunen zunehmend in finanzielle Schieflage geraten. Doch das eigentliche Kernproblem reicht tiefer: Es folgt dem kapitalistischen Grundprinzip, Profite zu privatisieren und Verluste zu sozialisieren. Während lukrative Geschäftsbereiche in private Hände übergehen, verbleiben defizitäre Aufgaben – von der Daseinsvorsorge bis zur Infrastruktur – im Verantwortungsbereich der öffentlichen Hand. Diese strukturelle Umverteilung zugunsten einer wirtschaftlichen Elite ist kein Zufall, sondern ein systemimmanenter Mechanismus. Solange dieses Prinzip unangetastet bleibt, werden weder die Staatskasse noch die kommunalen Haushalte jemals nachhaltig saniert werden können.

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