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Aus: Ausgabe vom 04.04.2025, Seite 14 / Medien
Krieg in Gaza

Journalisten auf der Abschussliste

Eine aktuelle Studie zählt mehr getötete Medienschaffende in Gaza als in einer ganzen Reihe von Kriegen
Von Jakob Reimann
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Ein israelischer Luftangriff tötete den palästinensischen Journalisten Ahmed Al-Louh (Deir Al-Balah, 16.12.2024)

Israel führt in Gaza bekanntermaßen auch einen Krieg gegen Journalisten. Seit Kriegsbeginn am 7. Oktober 2023 wurden in der abgeriegelten Enklave mehr Journalisten getötet als im US-Bürgerkrieg, im Ersten und Zweiten Weltkrieg, in den Kriegen in Korea, Vietnam (einschließlich Kambodscha und Laos), Jugoslawien und in Afghanistan ab 2001 zusammen. »Es handelt sich ganz einfach um den schlimmsten Konflikt aller Zeiten für die Berichterstatter«, heißt es in einer aktuellen Studie der Brown University, die am Dienstag veröffentlicht wurde.

Bis zu 232 Journalisten und Medienschaffende haben die israelischen Streitkräfte (IDF) in anderthalb Jahren Krieg gegen die Bevölkerung in Gaza demnach getötet. Die meisten Reporter, die in der Enklave verletzt oder getötet wurden, sind der Studie zufolge lokale Journalisten. Israel verhindert den Zugang ausländischer Journalisten weitgehend, bis auf durchchoreographierte Touren von regierungsfreundlichen Reportern unter Kontrolle der IDF.

So ist die Welt abhängig von diesen palästinensischen Medienschaffenden, die unter prekären und lebensgefährlichen Bedingungen arbeiten. »Seit Oktober 2023 hat Israel unabhängige ausländische Korrespondenten aus dem Gazastreifen verbannt und gleichzeitig eine Rekordzahl einheimischer Journalisten getötet«, heißt es in der Studie, »und das ohne jegliche Konsequenzen.« Aus der Bundesrepublik Deutschland hat Israel gewiss keine schiefen Töne zu erwarten. Tatsächliche Kritik seitens der Bundesregierung bleibt bei systematischen Tötungen von Medienschaffenden ebenso aus wie bei allen anderen Vorwürfen schwerer israelischer Kriegsverbrechen.

8. Mai

Die größte deutsche und europäische Journalistenorganisation, der Deutsche Journalistenverband (DJV), kritisierte gelegentlich die Angriffe auf Kollegen in Gaza. Doch seitens der Deutschen Journalistinnen- und Journalistenunion (DJU) als Teil der Gewerkschaft Verdi gab es über anderthalb Jahre hinweg keine entsprechenden Worte. Auf jW-Anfrage blieb es auch am Donnerstag allgemein: Der Schutz von Journalisten »in Krisen- und Kriegsgebieten« sei für Pressefreiheit wie unabhängige Berichterstattung »essentiell«, teilte die Pressestelle mit: »Jeder Angriff auf Medienschaffende ist besorgniserregend und stellt eine ernsthafte Bedrohung für die Informationsfreiheit dar.« Eine kritische Einordnung sei beim internationalen Dachverband IFJ sowie bei »Reporter ohne Grenzen« zu finden.

Wird in der bürgerlichen deutschen Presse überhaupt über getötete Journalisten in Gaza berichtet, gibt sie in erster Linie die Darstellung der israelischen Armee wieder. Einschätzungen palästinensischer und internationaler Akteure vor Ort werden weitgehend ignoriert. Den Gipfel erreichte im Januar die ehemals linke Taz. Ihr Autor Nicholas Potter delegitimierte palästinensische Journalisten und Medienhäuser in seinem Artikel »Können Journalisten Terroristen sein?« was sich als Relativierung der Angriffe auf diese lesen lässt. Dabei berief er sich auf rechte Akteure wie den US-Thinktank Atlantic Council und gab Anschuldigungen der IDF wieder. Der Hinweis, Angaben nicht verifizieren zu können, hinderte Potter dabei nicht daran, jede Behauptung der IDF wiederzukäuen, die palästinensische Journalisten zu Freiwild erklärt hatte.

Jüngst wurde der Autor selbst als Opfer des Nahostkonflikts in den deutschen Medien präsentiert. Nach einem kritischen Bericht der Onlineplattform Red über ihn und nachdem Aufkleber unbekannter Herkunft mit seinem Gesicht und der Aufschrift »The German Hurensohn« aufgetaucht waren, gab es ein enormes Medienecho. Etwa Deutschlandfunk oder Deutsche Welle veröffentlichten Interviews mit Potter. Unzählige Solidaritätsbekundungen bürgerlicher, oft rechter Akteure, Meinungsartikel und kritische Stellungnahmen von Journalistenverbänden, etwa der DJU, gab es obendrein.

Die Reaktionen weisen auf ein deutliches Missverhältnis hin: Werden palästinensische Journalisten zu Hunderten systematisch umgebracht, kommt in der BRD kaum eine Reaktion – gibt es jedoch Aufkleber mit dem Konterfei eines Journalisten, der diese Kriegsverbrechen verharmlost, tobt es im deutschen Blätterwald.

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