»Das Bild zu entzerren ist wahnsinnig schwer«
Interview: Marc Hairapetian
Der Theologe und Widerstandskämpfer Dietrich Bonhoeffer wurde am 9. April 1945 im KZ Flossenburg zusammen mit vier Leidensgenossen auf ausdrücklichen Befehl Hitlers hingerichtet. Die Verurteilten wurden gezwungen, sich zu entkleiden und nackt zum Galgen zu gehen. Wie stehen Sie dazu, dass die Umstände der Hinrichtung im Film von Regisseur und Drehbuchautor Todd Komarnicki verändert wurden? Im Film ist Bonhoeffer nicht nackt, hält eine Ansprache usw.
Ich hatte es mir eigentlich auch anders vorgestellt. Aus dem Drehbuch war das so nicht ersichtlich. Als Schauspieler ist man nur ein kleines Rad im großen Kunstgewerbegetriebe. Ich hoffe, dass es trotzdem daran erinnert, wie Dietrich Bonhoeffer hingerichtet wurde. Als Schauspieler bin ich natürlich daran interessiert, so nah wie möglich an die Wahrheit heranzukommen. Dass es künstlerisch von den anderen Departments so nicht gewünscht wurde, ist Teil des Filmemachens.
Der US-amerikanische Verleih gab »Bonhoeffer« den irreführenden Untertitel »Pastor. Spy. Assassin« und warb mit dem Slogan »Wie weit wirst du gehen, um für das Richtige einzutreten?« (um damit die Legitimität eines militanten Widerstands evangelikaler Christen gegen einen in den USA angeblich herrschenden liberalen »Totalitarismus« zu suggerieren, jW). Sie, August Diehl und Moritz Bleibtreu haben dann in der Zeit einen offenen Brief veröffentlicht und Ihren Protest gegen das geschichtsverfälschende Marketing zum Ausdruck gebracht, das auf dem Filmplakat Bonhoeffer mit einer Waffe in der Hand zeigt. Was sagen Sie heute dazu?
Das ist mehr als erschreckend. Das war ein ganz schöner Schlag ins Gesicht. Das einzige, was wir letztlich machen konnten, war, diesen Brief zu schreiben und uns öffentlich dazu zu äußern, dass das nicht der wahre Bonhoeffer war, wie er da vermarktet wurde. Zugleich ist die Vorgehensweise des US-Verleihs auch ein Symptom unserer Zeit. Und das ist fast noch erschreckender. Schlimm finde ich, dass die Produktionsfirma dabei mitgemacht hat, dass ein Antifaschist von rechten Kräften gekapert und als Galionsfigur benutzt wird. Das haut genau in die Kerbe, die wir jetzt in Amerika mit Donald Trump und Elon Musk und leider auch auch in Deutschland erleben, wo etwa von Alice Weidel das alte Narrativ aufgefahren wird, »Hitler ist eigentlich ein Kommunist gewesen«. In diesen Zeiten wird Geschichte immer wieder verfälscht. Darin liegt die Tragik, dass die Produktionsfirma genau diese Vermarktung betrieben hat. Das ist einfach unmöglich.
Können Sie genauer erläutern, was daran so unerhört sein soll?
Damit dann Geld zu generieren oder vermeintliche Zuschauerzahlen ist einfach rückgratlos und steht dem diametral entgegen, für das Bonhoeffer einstand. Als Schauspieler kommst du dann in eine Situation, dass du gegenüber den Produktionsfirmen, die so viel Geld haben, fast machtlos bist. Die fragen dich ja nicht: »Bist du damit einverstanden, dass wir das Poster mit deinem Gesicht als Bonhoeffer bearbeiten?« Ich hätte den Vertrag für den Film niemals unterschrieben, wenn klar gewesen wäre, dass Bonhoeffer eine Knarre in der Hand hat! Das ist eine inhaltliche Verfälschung. Und zugleich muss man sagen, dass, obwohl das so beschissen ist, den Film in den USA so zu vermarkten, damit ihn rechte Medien goutieren, ich noch nicht mal der wirklich Betroffene bin. Ich bin nur der Schauspieler, dessen Gesicht verwendet wird, um damit für irgend etwas Werbung zu machen, hinter dem ich nicht stehe. Die wirklich Betroffenen sind Bonhoeffer, dessen Andenken damit in den Schmutz gezogen wird, und seine Nachfahren. Am Ende bin ich nur ein weißer Dude, der von der Politik, die diese Leute forcieren, nicht betroffen ist. Ich bin nur der Posterboy. Ich hätte mich auch hinstellen und sagen können: »Total d’accord!« Dann wären wir alle schön im Einklang gewesen. So ist es aber nicht.
Einige Journalisten hierzulande haben geschrieben, Sie hätten sich instrumentalisieren lassen …
Ich kann den Ärger verstehen. Ich teile ihn ja. Das Bild zu entzerren ist wahnsinnig schwer. Und ich mache den Leuten, die schreiben, wir hätten uns instrumentalisieren lassen, nicht einmal einen Vorwurf. Wenn die meinen, ich hätte mich instrumentalisieren lassen, weiß ich, dass es nicht stimmt. Ich habe den Vertrag nicht mit diesem Studio gemacht. Die sind erst später dazu gekommen. Ich weiß auch, ich sage »ja« zu einem Drehbuch und lasse mich auf einen Drehbuchprozess ein. Was darüber hinaus entsteht, ist immer ein Risiko. Aber ich habe zu einem Drehbuch »ja« gesagt, bei dem ich wusste, dass gewisse Dinge vereinfacht werden. Ich stelle das selbst in Frage und bin nicht derjenige, der sagt: »Ich habe alles richtig gemacht!« Ich glaube trotzdem, dass es nicht nur ein antifaschistischer Film ist, sondern auch einer, der anhand einer historischen Figur nach einer Mitmenschlichkeit sucht, die mir heutzutage fehlt. Bonhoeffer hat nämlich nach etwas gesucht, was größer ist als wir selbst. Das mag Gott sein. Ich bin selbst noch nicht mal gläubig. Das war das Interessante, dass es bei Bonhoeffer zwar aus etwas Christlichem kommt, doch er beschäftigte sich auch mit anderen Glaubensrichtungen. Er selbst war kurz davor, sich mit Gandhi zu treffen. Er ging der Frage nach: »Was ist denn da, was uns miteinander verbindet?« Das ist eine tiefere Mitmenschlichkeit. Und was leiten wir davon ab, welches Handeln? Und das war für mich der springende Punkt, dass es sich lohnt, diesen Film trotzdem zu machen. Das ist für uns auch eine Frage als Filmschaffende: Wie wollen wir erzählen? Natürlich kann es nicht das Ziel sein, dass man versucht, es allen recht zu machen. Ich glaube, dass Kontroversität immer Teil des Filmemachens ist. Das muss man sich fragen, wenn man in Zeiten wie diesen einen historischen Stoff nimmt. Unsere Welt hat sich verändert. Es ist nicht mehr wie noch vor fünf oder zehn Jahren. Jetzt müssen wir darauf gucken, in was für einer geschichtsverzerrenden Zeit wir leben. Was haben wir dabei für eine Verantwortung als Filmemacher? Ich habe mich zwar nicht instrumentalisieren lassen, aber der Film ist zu etwas gemacht worden, das ich nicht wollte, und trotzdem nehme ich auch das mit als Frage, wie wir weiter Filme drehen.
Ich finde spannend, dass Bonhoeffer am Ende ein Christentum vertrat, das sich von der Religiosität entfernt hat. Er war extrem offen. In dem Film gibt es eine Episode, in der er in einem Jazzclub Louis Armstrong trifft und mit ihm jammt, die frei erfunden ist ...
Das ist natürlich ein zu kritisierender Punkt. Man kann auch etwas anderes kritisch sehen: nämlich die Geschichte, die im Nachkriegsdeutschland gern erzählt wird, dass alle letztlich doch Widerstandskämpfer waren. Nach einer Umfrage glauben 60 Prozent der Deutschen, dass ihre Großeltern im Widerstand tätig waren. In Wahrheit waren dies weniger als ein Prozent. Man muss es komplex beschreiben, wie in der BRD die Geschichte gesehen wurde und weiterhin wird. Zum Beispiel, dass Helmut Kohl die »Stunde Null« ausgerufen hatte, in der alles auf Anfang gesetzt wurde. Oder die »Schlussstrichrede« von Martin Walser mit dem Satz »Es muss auch mal Schluss sein mit der Erinnerung, und die Deutschen waren auch nicht nur schlecht«. Bla, bla, bla … eben all dieser ganze Kram, und plötzlich kommt eine Hollywooderzählung, die von diesen Widerstandskämpfern erzählt, und das passt natürlich gut. Die große Chance bei »Bonhoeffer« war, aufzuzeigen, dass niemand aus sich allein heraus zum Widerstandskämpfer wird. Das wird oft in der Geschichtsschreibung vergessen, auf welchen Schultern die Leute stehen. Da ist Bonhoeffers Geschichte ausschlaggebend.
Jonas Dassler wurde 1996 in Remscheid geboren und begann mit 18 Jahren in Berlin seine Schauspielausbildung an der Hochschule für Schauspielkunst Ernst Busch. Von 2017 bis 2021 war er festes Ensemblemitglied am Maxim-Gorki-Theater. 2024 spielte er die Titelrolle in Todd Komarnickis Spielfilm »Bonhoeffer: Pastor. Spy. Assassin.«
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Leserbrief von Onlineabonnent/in Ronald B. aus Kassel (9. April 2025 um 11:09 Uhr)Dietrich Bonhoeffer: »Die menschlichen Grundwahrheiten kehren früher oder später immer wieder zum Leben zurück. Deshalb dürfen wir keine Eile haben, wir müssen warten können.« Danke an jW – bzw. die Genoss*innen für den ausführlichen Text über Dietrich Bonhoeffer im Veranstaltungskalender neulich, in dem auch von deutschnationalistischen Bestrebungen, ihn von rechts zu vereinnahmen, die Rede war, richtigerweise. Der jW-Gemeinde hier zu (nochmaligen) Kenntnis: an einem 9. April haben auch der mir unvergessene Rot-Fuchs-Gründer Dr. Klaus Steiniger sowie der Kommunist Emil Carlebach – ich begegnete zweiterem in jungen Jahren einmal beim Buchenwald-Gedenken – ihren Todestag, neben meinem Adoptivvater, er war Berufskraftfahrer zur Versorgung der Nutztiere. Allen Genoss*innen einen schönen Frühlingstag heute!
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