Rotlicht: Wissenschaftsfreiheit
Von Felix Bartels
Die Idee einer freien Wissenschaft gehört durchaus in die Neuzeit. Antike Akademien waren private Einrichtungen, Universitäten als politisch verwaltete Einrichtungen entstanden im Mittelalter. Die Universität Parma wurde im 10. Jahrhundert gegründet, Oxford und Bologna folgten im 11., die ersten deutschen, Wien und Heidelberg, nahmen im 14. Jahrhundert den Betrieb auf. Zu einer Zeit also, da rigide Kontrolle durch Papst und Kaiser Normalität war.
Mit dem Absolutismus wuchs die Möglichkeit akademischer Handlungsfreiheit, stark abhängig allerdings vom Willen des jeweiligen Monarchen. Lessing konnte unter fürstlichem Schutz in Wolfenbüttel agieren, der Akademie-Präsident Gundling wurde in Preußen als Hofnarr gehalten, man begrub ihn 1731 in einem Weinfass. Durch die Aufklärung etabliert sich das Ziel einer allein Forschung und Lehre verpflichteten Wissenschaft, Kants »Streit der Fakultäten« (1798) fordert die Freiheit der philosophischen Fakultät vom Zugriff des Staats und der Kirche. Hegel, wie so oft gegenüber Kant der Mann für den Indikativ, sieht akademische Freiheit durch die Vermittlung eines staatlich organisierten Betriebs und individueller wissenschaftlicher Arbeit gewährleistet.
Es ist sinnvoll, bei wissenschaftlicher Freiheit zwischen Forschung und Lehre zu unterscheiden. Die Trennung war in sozialistischen Staaten sogar regelrecht institutionell, indem Akademien unabhängig von Universitäten arbeiteten. Wo eine gewisse Kontrolle über die Lehrinhalte gewahrt sein muss, man andererseits aber die Impulse einer nicht behinderten Forschung braucht, scheint die Trennung plausibel, da im Gegensatz zum Mittelalter das Auftauchen ketzerischer Ideen noch nicht als solches zum Problem werden musste. Vielmehr ruhte hier der Gedanke, die heranwachsende Jugend bei den in Lehrinhalte verpackten Normen zu halten.
Auch in der bürgerlichen Gesellschaft ist diese Trennung, wenngleich nicht institutionell, aber doch strukturell angelegt. In der »Nachricht von der Einrichtung seiner Vorlesungen in dem Winterhalbjahre 1765–1766« rät Kant, die Jugend vor der freien Vernunfttätigkeit die Quarantäne des Verstandes durchlaufen zu lassen. Intuitiv-logischer Forschungsgeist verwirrt demnach, wenn ideologische Basis und gefestigte Lehrinhalte nicht in ihr ausgelegt sind. Auch heute arbeiten Schulen und Universitäten nicht schlechtweg frei, was selbst für die geisteswissenschaftlichen Disziplinen gilt, bei denen doch klar ist, dass der Gehalt immer schon normativ, also politisch gesetzt ist.
Der 1976 in der Bundesrepublik etablierte »Beutelsbacher Konsens« formuliert die ideale Forderung, dass politische Meinungen nicht zum Lehrinhalt werden dürfen, an der Realität geht diese Forderung indessen vorbei. Wer sich herrschendem Konsens widersetzt – sei es in der Frage der verstärkten Bewaffnung der Bundeswehr, sei es durch propalästinensische Solidaritätsadressen (die von Stark-Watzingers »Fördergeldaffäre« Betroffenen wären hier exemplarisch zu erinnern) oder durch wissenschaftliches Herangehen an die Frage, ob es mehr als zwei Geschlechter gebe –, sieht sich einem Druck ausgesetzt, der zugleich von oben und unten kommt. Mehrheitsgesellschaft und staatliche Institutionen greifen auf Universitäten und Schulen zu, und natürlich schränkt das die wissenschaftliche Arbeit ein. Die im Artikel 5 des Grundgesetzes garantierte Freiheit von Forschung und Lehre gilt nicht absolut, der Hinweis auf Verfassungstreue wird zur Hintertür, die je nach Interpretation genutzt werden kann.
Es fällt auf, dass bei der Frage der akademischen Freiheit politische Probleme den größten Raum einnehmen. Allerdings sind neben den allgemeinen (kulturell-gesellschaftlich-ideologischen) und den ganz konkreten (staatlich-institutionellen) Einflüssen auch Einflüsse finanzieller und ökonomischer Natur relevant. Das betrifft den Umstand, dass der Forschungsbetrieb zum erheblichen Teil von Drittmittelvergabe abhängt, ebenso wie das gesamte Feld der angewandten Forschung, die stark vernetzt mit Konzernen und folglich von ihnen abhängig ist.
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