Selbstbefreiung verschwiegen
Von Bernd Kant
Medienberichte über das Gedenken zum 80. Jahrestag der Befreiung des KZ Buchenwald vermittelten den Eindruck, die Feierlichkeiten seien von einem »Genozidskandal« dominiert worden. Tatsächlich gab es mehrere skandalöse Vorgänge, die jedoch damit verdrängt wurden. Was war passiert? Eine spanische Studentin formulierte auf der Veranstaltung in einem kurzen Statement ihre Konsequenzen aus der Geschichte von Buchenwald, warum sie sich für Frieden und gegen heutige Kriege engagiert. Sie hielt ihre Rede auf Englisch, wobei sie für das Vorgehen der israelischen Armee im Gazastreifen den Begriff »genocide« benutzte.
Auf Englisch wird dieser Begriff nicht allein in der im Deutschen üblichen Bedeutung »Genozid« (als Ausdruck für die systematische Vernichtung von Völkern aus rassistischen Gründen), sondern auch für Völkermord in unterschiedlichen Formen und Situationen verwendet. Angemessen reagierte Jens-Christian Wagner, Stiftungsdirektor der Gedenkstätten Buchenwald und Mittelbau-Dora, als er betonte, dass sich der Begriff an diesem Ort der Erinnerung an den von den Nazis vollzogenen Völkermord an jüdischen Menschen, Sinti und Roma und den 27 Millionen Sowjetbürgern, die als »Untermenschen« ebenfalls der Vernichtungspolitik ausgesetzt waren, verbiete. Das hätte man der jungen Frau, die ja historisch interessiert war, erklären können – und alles wäre gut gewesen.
Nun aber wurde dies zum Skandal gemacht, wodurch all die anderen Skandale überlagert wurden. Den ersten Skandal gab es schon vor der Gedenkveranstaltung. Die israelische Botschaft drängte die Thüringer Landesregierung und die Stiftung Gedenkstätten Buchenwald und Mittelbau-Dora im Auftrag der Netanjahu-Regierung, einen vorgesehenen Festredner für den Staatsakt in der Weimarhalle, den israelisch-deutschen Philosophen Omri Boehm, Kritiker der israelischen Regierung, auszuladen. Sein Auftritt beleidige angeblich das Gedächtnis an die jüdischen Opfer.
Skandalös ist dabei nicht nur die Einflussnahme der israelischen Regierung, sondern auch die Haltung von Bundes- und Landesregierung – mit Ausnahme von heißer Luft war keine Stellungnahme gegen diese Einflussnahme zu hören. Die Kulturbeauftragte der Bundesregierung, Claudia Roth (Grüne), verkündete, Gedenkstätten müssten »unabhängig« sein, ohne ein Wort über diese israelische Einflussnahme zu verlieren. Eine absurde Aussage, wenn man bedenkt, dass die Gelder für Gedenkstätten von den Bundes- und Landesregierungen in ihren jeweiligen Konstellationen zur Verfügung gestellt werden. Und schon jetzt fürchtet nicht nur die Gedenkstätte Buchenwald, dass aufgrund der Priorität der Aufrüstung im Bundeshaushalt die Mittel für die Gedenkstättenarbeit deutlich eingeschränkt werden.
Frau Roth war es auch, die bei ihrer Rede durch bewusste Auslassungen eine inhaltliche Neubewertung versuchte. Sie erinnerte an Hermann Brill und das »Manifest der demokratischen Sozialisten«. Dabei zitierte sie den Appell zur »antifaschistischen Einheit«, die Brill als Voraussetzung für den Aufbau einer Volksrepublik ansah. »Zu diesem Zwecke erstreben wir einen neuen Typ der Demokratie, die sich nicht in einem leeren, formelhaften Parlamentarismus erschöpft, sondern den breiten Massen in Stadt und Land eine effektive Betätigung in Politik und Verwaltung ermöglicht.« Doch das zitierte Claudia Roth nicht mehr.
Zu den Skandalen dieser Kundgebung gehört auch, dass in keiner Rede dieser Feierstunde auf dem Appellplatz der Widerstand und erfolgreiche Überlebenskampf der Häftlinge in Buchenwald benannt wurde. Direktor Wagner fiel bei seiner Eröffnungsrede selbst hinter dem früheren Direktor Volkhard Knigge zurück, der immerhin eingestanden hatte, dass es sich am 11. April 1945 um eine Befreiung von innen und außen gehandelt habe. Der Begriff »Selbstbefreiung« war auf der Kundgebung auf dem Appellplatz nicht zu hören.
Deutlich auf die Selbstbefreiung und den »Schwur von Buchenwald« hinzuweisen, war dem Internationalen Jugendtreffen der Fédération Internationale des Résistants (FIR) und den etwa 500 Jugendlichen aus zehn Nationen vorbehalten, die zuvor am Glockenturm ihre »Kundgebung der Jugend« durchgeführt hatten.
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