Ein Leben im Widerstand
Von Dieter Reinisch, Wien
In den 1960er Jahren sorgte ein Wiener Wirtschaftsprofessor für Proteste im Nachkriegsösterreich: »Taras Borodajkewicz war trotz seines Namens ein Nazi«, sagt Michael Graber, Vorsitzender des Zentralverbands der Pensionisten Österreichs und KPÖ-Mitglied im zehnten Wiener Gemeindebezirk. Hier in Favoriten lebte bis zu seinem Tod vor sechzig Jahren Ernst Kirchweger, antifaschistischer Widerstandskämpfer und Kommunist. Am 31. März 1965 wurde er am Rande einer Demonstration gegen Borodajkewicz in der Wiener Innenstadt vom 24jährigen Neonazi Günther Kümel niedergeschlagen. Der 1898 geborene Antifaschist stürzte zu Boden und verstarb zwei Tage später, ohne aus dem Koma erwacht zu sein. Kirchweger war das erste Opfer faschistischer Gewalt in Österreich nach 1945.
Am vergangenen Freitag, zwei Tage nach Kirchwegers 60. Todestag, erinnerte die Gewerkschaftsplattform Komintern an den Widerstandskämpfer. Die kommunistische Arbeiterkammerrätin Selma Schacht begrüßte die Anwesenden – neben Mitgliedern der KPÖ-Favoriten und der Komintern auch Vertreter von KJÖ, Young Struggle, der Partei der Arbeit und der linken Migrantenorganisation ATIK – vor der Gedenktafel für Kirchweger an dem nach ihm benannten Gemeindebau in der Sonnwendgasse.
Kirchweger stammte aus einer sozialdemokratischen Arbeiterfamilie in Döbling. Im Ersten Weltkrieg wurde er zur k. u. k. Kriegsmarine eingezogen und nahm Anfang Februar 1918 am Matrosenaufstand von Cattaro teil. Damals war er bereits Mitglied der Sozialdemokratischen Partei. Nach der Niederlage der Arbeiter in den Februarkämpfen 1934, für die er die sozialdemokratische Parteiführung verantwortlich machte, wechselte er zu der zu dem Zeitpunkt bereits verbotenen KPÖ. Unter dem Austro- sowie dem Hitlerfaschismus beteiligte sich Kirchweger am Widerstand und wurde dafür ins KZ deportiert.
Auch nach 1945 kämpfte er weiter gegen den Faschismus, während Borodajkewicz seine antisemitischen, deutsch-nationalen und antiösterreichischen Ideologien in seinen Vorlesungen an der Wiener Hochschule für Welthandel verbreitete. Der sozialdemokratische Student Ferdinand Lacina verfasste Mitschriften, der junge SPÖ-Jurist und spätere Bundespräsident Heinz Fischer versuchte, sie zu veröffentlichen.
Schließlich brachte ein TV-Interview von Borodajkewicz Anfang 1965 die Sache neuerlich in die Öffentlichkeit. Tausende demonstrierten daraufhin in Wien für die Absetzung des Professors, einige rechte Studenten marschierten dagegen für die »Freiheit der Lehre« und griffen den antifaschistischen Protestzug an: »Szenen erwecken traurige Erinnerungen an die Zeit vor 30 Jahren«, berichtete der ORF damals.
Bei einer dieser Demonstrationen wurde Kirchweger von dem Neonazi Kümel, der Mitglied des FPÖ-nahen »Rings freiheitlicher Studenten« war, niedergeschlagen. Kümel war bereits mehrfach wegen Waffenbesitzes und Sprengstoffattentaten angezeigt worden. Aber er fand einen wohlwollenden Richter und wurde nur zu zehn Monaten bedingter Haft verurteilt, kam also mit einer Bewährungsstrafe davon. »Der Richter gab Kirchweger eine Mitschuld: Er hätte in seinem Alter nicht auf eine Demonstration gehen sollen«, erzählt die Arbeiterkammerrätin und Komintern-Aktivistin Lisa Holzer bei der Gedenkveranstaltung im nach Kirchweger benannten Kulturzentrum EKH.
Kirchwegers Begräbnis am 8. April 1965 wurde mit 25.000 Teilnehmern zur größten antifaschistischen Kundgebung seit 1945, betonte Schacht: »Wir sind nicht hier, um an das Opfer Ernst Kirchweger zu erinnern, sondern an den Widerstandskämpfer und Kommunisten.« Bis zu seinem Lebensende führte er diesen Kampf weiter. Vor 60 Jahren wurde er dafür erschlagen – sein Täter zog nach dem Prozess in die BRD, wo er über Jahrzehnte unbehelligt in neofaschistischen Kreisen aktiv blieb.
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