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Aus: Ausgabe vom 10.04.2025, Seite 4 / Inland
Studie

Mehr Palästina-Solidarität an Hochschulen

Befragung zu vermeintlichem und tatsächlichem Antisemitismus unter Studierenden
Von Max Grigutsch
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»Jabalia-Institut«: Zwei Tage lang besetzten Studierende ein Gebäude der Humboldt-Universität Berlin (22.5.2024)

Was nicht passt, wird passend gemacht. Eine vom Bundesforschungsministerium beauftragte Befragung kommt erneut zu dem Ergebnis, dass Studierende weniger antisemitisch als die Gesamtbevölkerung sind. Der geschäftsführende Bundesforschungsminister Cem Özdemir (Bündnis 90/Die Grünen) hat eine entsprechende Erhebung der Universität Konstanz am Mittwoch in Berlin vorgestellt. Was nicht von sich aus dramatisch klingt, will in das staatlich gewünschte Narrativ eingebettet sein. »Gerade auch an unseren Hochschulen muss klar sein: Antisemitismus und Israel-Feindlichkeit dürfen hier nicht toleriert werden«, bespielte Özdemir die altbekannte Gleichsetzung.

Seit dem Angriff der Hamas aus dem besetzten Gazastreifen heraus auf israelische Militäranlagen sowie Wohnsiedlungen und Zivilisten am 7. Oktober 2023 ist die palästinasolidarische Bewegung an Unis verstärkt Antisemitismusvorwürfen ausgesetzt. Mit Bild-Schlagzeilen wie »Die Universitäter« wurden Anti-Genozid-Demonstranten im akademischen Raum unlängst als besondere Gefahr für jüdische Menschen stilisiert. Obwohl derartige Behauptungen inzwischen mehrfach empirisch widerlegt wurden, erklären proisraelische Propagandisten die Unis immer wieder mit anekdotischen »Fakten« zum Tatort, so etwa der Ende Februar vorgestellte »Lagebericht Antisemitismus«.

Josef Schuster, Präsident des Zentralrats der Juden, bekräftigte am Sonntag gegenüber der Nachrichtenagentur dpa, dass Hochschulen »immer noch Orte der Angst für jüdische Studierende« seien. Und so kommentierte auch Emma Würffel, Bundesvorstand der SPD-Hochschulgruppen, in einer Pressemitteilung am Mittwoch: »Auch wenn antisemitische Einstellungen unter Studierenden nicht zunehmen, unterschätzen viele den tatsächlich vorhandenen Antisemitismus an ihren Hochschulen deutlich.«

Die Studie mit dem Titel »Antisemitismus und propalästinensische Proteste an deutschen Hochschulen« kommt zu dem Ergebnis: Bei 83 Prozent von über 1.800 im Dezember 2024 befragten Studierenden konnten keine antisemitischen Einstellungen festgestellt werden. Etwa jedem zehnten Befragten attestieren die verantwortlichen Forscher »antisemitische Tendenzen«, nur sechs Prozent wurden für klar antisemitisch erklärt. Zum Vergleich: In der Gesamtbevölkerung soll der Studie zufolge vermeintlich jeder fünfte, also 20 Prozent, antisemitisch eingestellt sein und 19 Prozent zum Antisemitismus tendieren.

Dabei mangelte es den Studienmachern nicht an Kreativität, die Gefahr des behaupteten propalästinensischen Antisemitismus methodologisch auszudehnen. »Es ist weiterhin hohe Wachsamkeit angezeigt – insbesondere gegenüber israelbezogenem Antisemitismus«, heißt es zu Anfang des Berichts. Befragte sollten etwa den Satz »Was der Staat Israel heute mit den Palästinensern macht, ist im Prinzip auch nichts anderes als das, was die Nazis im Dritten Reich mit den Juden gemacht haben« bewerten.

Einen Exkurs liefern die Wissenschaftler auch zum »linken Antisemitismus«. Unter politisch links ausgerichteten Studierenden sollen nur acht Prozent ausgeprägt und weitere acht Prozent tendenziell antisemitisch sein – »israelbezogener Antisemitismus« eingerechnet. Futter für die Schlagzeilen gibt es trotzdem: Da sich ein stolzes Viertel aller Studierenden als »links« bezeichnet, sei der »linke Antisemitismus« in absoluten Zahlen häufiger anzutreffen als Antisemitismus von rechts.

Einen Anstieg nachweisen konnten die Forscher vor allem in der Palästina-Solidarität. Stimmten im Vorjahr schon 58 Prozent der Aussage zu, dass der israelische Militäreinsatz »vor allem zu unermesslichem Leid der palästinensischen Zivilbevölkerung« führe, sind es inzwischen satte 65 Prozent. Eine realitätsnahe Schlagzeile könnte also sein: Mehrheit der Studierenden solidarisch mit Palästinensern.

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