»Wie ein Stück aus dem Tollhaus«
Interview: Max Ongsiek
Die Brandenburger Landesregierung aus SPD und BSW hat einen faktischen Einstellungsstopp für Lehrer trotz eklatantem Pädagogenmangel erst verhängt, ist kurz darauf aber zurückgerudert. Was war da los?
Tatsächlich sagt das Ministerium mittlerweile, sie wollen wieder einstellen. Aber so richtig transparent ist das nicht, was da gerade passiert. Zum einen geht es bei der Diskussion um die Verlängerung der Wochenarbeitszeit der Lehrkräfte. Alle Lehrer in Brandenburg sollen eine Stunde mehr arbeiten. Das bedeutet eine flächendeckende Arbeitszeitverlängerung. Und die Landesregierung, die noch nicht einmal benennen kann, wie viele Stellen im Grunde überhaupt besetzt sind, hat dann in panikartiger Art und Weise einen Einstellungsstopp verfügt. Das ist eine mittelgroße Katastrophe.
Was bedeutet dieses Agieren des SPD-geführten Bildungsministeriums für das Schulsystem in dem ostdeutschen Bundesland?
Wir verprellen so junge Kollegen, die gut ausgebildet sind und darauf warten, eingestellt zu werden. Und das in einer Zeit, in der der Arbeitsmarkt für Lehrkräfte leergefegt ist; und wir wissen, dass die Junglehrer sich selbstverständlich auch in anderen Bundesländern umschauen. Das trifft nicht nur auf die ausgebildeten Lehrer zu, sondern auch auf die Seiteneinsteiger, die wir aktuell nachqualifizieren.
Außerdem werden getroffene Zusagen, die zur Einstellung führen sollen, nicht eingehalten. Tatsächlich haben wir in den ländlichen Regionen einen Riesenbedarf an Lehrkräften. Aber man kann doch nicht davon ausgehen, dass eine Einstellungszusage, die in Potsdam jetzt zurückgenommen wird, dann von derselben Person in der Uckermark realisiert werden kann. Statt dessen werden die Pädagogen sagen: »Dann gehe ich halt woanders hin, wo ich mehr verdiene, weniger arbeiten muss und eine bessere berufliche Perspektive habe.«
Rechnen Sie für die nächste Zeit mit weiterem Hin und Her bei der Bildungspolitik?
Ja, definitiv. Darüber hinaus werden wir durch diese Maßnahme der Arbeitszeitverlängerung nicht eine einzige Stunde mehr in der Schule haben. Die dienstälteren Kollegen werden vorzeitig ausscheiden und sagen: »Wir machen das nicht mit. Das ist eine zu hohe Belastung.« Auch werden viele jüngere Kollegen aus denselben Gründen in Teilzeit gehen.
Diese Politik hat eine lange Tradition und die Konstante in dieser Regierung ist die SPD, die seit ungefähr 30 Jahren das Bildungsressort innehat. Es ist das Ergebnis dieser katastrophalen Politik, dass wir keine Lehrkräfte und zu volle Klassen haben. Noch im Januar sagte der Bildungsminister (Steffen Freiberg, jW) im Landtag, dass es keine Arbeitszeiterhöhung der Lehrkräfte geben wird. Das ist wie ein Stück aus dem Tollhaus.
Wie groß ist das Defizit an neuen Lehrkräften mittlerweile?
Bis zu den Jahren 2033/34 werden von aktuell 24.000 Pädagogen circa 12.000 Lehrkräfte im Ruhestand sein. Wir haben also einen jährlichen Einstellungsbedarf von 1.000 Lehrern, bilden aber nur rund 450 pro Jahr aus. Und die wurden noch nicht einmal für die benötigten Fächerkombinationen ausgebildet. Das heißt also, die Landesregierung und insbesondere das Bildungsministerium haben gegen dieses lange bekannte strukturelle Defizit nicht wirksam gegengesteuert.
Auffällig ist, dass die Landesregierung nicht mehr Geld für neues Lehrpersonal in die Hand nimmt, sondern das Budget der landeseigenen Imagekampagne von 800.000 Euro auf eine Million Euro erhöht. Wirtschaftsminister Daniel Keller von der SPD sprach davon, dass Brandenburg sich als attraktiver Standort präsentieren müsse. Wie kommt das bei Ihnen an?
Das ist wie der Dieb, der »Haltet den Dieb!« ruft. Wir machen irgendeine Kampagne und glauben, damit der Öffentlichkeit suggerieren zu können, wir lösen die Probleme.
Sie haben Protestaktionen angekündigt. Was ist geplant?
Wir bereiten gerade eine große Aktion vor, die gemeinsam mit allen anderen Verbänden im Deutschen Beamtenbund – anlässlich der Haushaltsberatungen des Landtags – in Potsdam am 21. Mai starten soll. Ich gehe davon aus, dass da sehr viele Kolleginnen und Kollegen kommen werden.
Günther Fuchs ist Vorsitzender der Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaft (GEW) Brandenburg
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