Es gibt nur eine Welt
Von Aljoscha WeskottDouglas Rushkoff: Survival of the Richest. Warum wir vor den Techmilliardären noch nicht einmal auf dem Mars sicher sind. Aus dem Englischen von Stephan Gebauer. Suhrkamp-Verlag, Berlin 2025, 281 Seiten, 22 Euro
Aljoscha Weskott ist Arbeiter, Autor und Dozent für Kultur- und Medienwissenschaften
Für Rushkoff zielen diese techno-optimistischen Vorstellungen auf die Abschaffung des Menschen. Im Original erschien Rushkoffs »Survival of the Richest« bereits 2022. Seine vielfältigen politischen Betrachtungen zerfließen im »permanenten Ausnahmezustand« des Hier und Jetzt. Ein »Zu Spät« dringt durch jede Zeile seiner politischen Streitschrift. Denn wir stehen vor einem neuen Phänomen, das den Namen »Technofaschismus« trägt, der in seiner Manie für Daten, Zahlen und Kontrolle davon zeugt, dass diese digitale Revolution Menschen brutal aus dem Weg räumen kann. Technologie hat gleichsam eine Energie freigesetzt, die Techmilliardäre einsetzen und zugleich ökonomisch ausnutzen. Die von Rushkoff bereits antizipierte neue Form der »Technobeschleunigung« zielt auf die Zerstörung der bestehenden Ordnung, um eine technologisierte Ordnung der Ingenieure zu schaffen, wie beispielsweise die aktuelle Transformation von DOGE demonstriert. Rushkoffs Buch ist als eine Vorgeschichte gegenwärtiger Entwicklungen zu lesen, in der eine neue Verbindung zwischen den Techkonzernen und dem Regierungsbetrieb relevant wird.
Mindset der Technoeliten
Rushkoffs manifestartige Streitschrift ist eine radikale Kritik des Technooptimismus samt seiner ideologischen Implikationen: Die technische Lösbarkeit aller Probleme ist ein zentrales Paradigma des »Mindset«. Auch der Weltraum bietet eine Möglichkeit der Expansion, um sich von der Menschheit und ihrem tristen Stück Erde zu befreien. Wir erfahren: Techmilliardäre suchen Exitstrategien planetarischer und außerplanetarischer Art. Der irdische Fluchtort ist der Bunker, in dem alle Katastrophen überlebt werden können: Atomkrieg, Klimaveränderung, Aufstände. Rushkoffs Pamphlet leidet mitunter an seiner anekdotischen Verzettelung und versteht es dennoch, die wesentlichen Probleme zu veranschaulichen: »Jeff Bezos besitzt eine Yacht mit Hubschrauberlandeplatz, die als Begleitschiff seiner eigentlichen Yacht dient, deren große Segel bei den Start- und Landemanövern seines Hubschraubers im Weg wären.« Diese Maßlosigkeit kritisiert Rushkoff wiederholt. Es ist die Angst, die sie antreibt. Wohin flüchten, wird Rushkoff von Techmilliardären auf einer Konferenz gefragt, nach Alaska oder Neuseeland? Es geht dabei immer um die Vorbereitung auf die Zeit nach der Apokalypse. Rushkoff führt zum Thema KI-Entwicklungen eine Aussage von Musk an: Er wolle den Mars besiedeln, »damit wir einen Unterschlupf haben, wenn die KI wild wird und sich gegen die Menschheit wendet«.
Wurde nun das Endzeitkino im Science-Fiction-Modus von der Agenda der Techgiganten inspiriert oder umgekehrt? So gehören laut Rushkoff auch Film- und Fernsehproduktionen zum »Mindset«, frohlocken diese doch über die Überlegenheit des Roboters, der die Antiquiertheit des Menschlichen offenbart.
Bunker der Angst
Rushkoff gibt zugleich Einblick in das System der Angst der Techmilliardäre: die Angst, dass das privat organisierte Wachpersonal im Augenblick der Katastrophe vielleicht nicht gehalten werden kann. Wird sich das Wachpersonal gegen die zu Beschützenden wenden? Was tun? Rushkoff empfiehlt, »gut zu ihnen zu sein«. Das Projekt »Technologie nutzen, um sich vom gemeinen Volk abzuheben« kommt hier an eine Grenze. Wissen wir nicht bereits aus Filmen, dass dieses »Mindset« zum Scheitern verurteilt ist?
Rushkoff hilft zu verstehen, dass Trump 2.0 den Techmilliardären eine Gelegenheit bietet, sich des »Ballasts« liberaler Demokratie zu entledigen. Er führt den Techno-Utopismus als eine Ideologie des Schreckens vor und beschreibt die Ängste der Techmilliardäre. »Der Bunker der Milliardäre«, so Rushkoff, sei »weniger Ausdruck einer Strategie für die Apokalypse als eine Metapher für diese realitätsferne Einstellung zum Leben«. Die zerstörerische Kraft des digitalen Kapitalismus kommt auch nicht ohne eine ideologische Komponente aus: Der »TED-Talk« avancierte, so Rushkoff, zu einem Format, um Rhetorik und Geschäftspläne des Silicon Valley in die Welt zu posaunen: »Fortschritt. Zukunft. Optimismus. Wandel. Sieg.« Aber, so Rushkoff weiter, seien dies lediglich »Euphemismen für Eroberung, Kolonisierung, Beherrschung und Ausbeutung«.
Andere Fragen wirft Rushkoffs eigentümliche »Neuentdeckung« der Natur auf. War nicht von Paul Preciado über das somapolitische Programm einer Technoökologie zu lesen, über eine psychopolitische Modellierung von Subjektivität, die das Verhältnis von Technik und Geschlecht als Möglichkeitszone der Neuverhandlung ausrief? Auch wenn der Mensch nur noch ein Datensatz im weltumspannenden Technologienetzwerk ist und darin regiert wird, kokettiert Rushkoff mit einem fast romantischen Naturbegriff. Das »Sensing« (Wahrnehmen) der Natur ist vielleicht mehr als nur eine Simulation des Ökologischen: Das erkennen wir in dem Begriff »Ökologie ohne Natur« (Timothy Morton) oder Preciados Affirmation eines Geschlechts als operationalem Programm im Modus des Technologischen.
Die Gigantomanie des digitalen Kapitalismus als ein imperialer, neokolonialistischer Akt wurde von Jussi Parikka in »A Geology of Media« (2015) analysiert, wo er eine Bemerkung des Technikphilosophen Benjamin Bratton aufgreift, dass ein jeder ein Stückchen Afrika mit sich herumträgt, da handliche digitale Medientechnologie ohne die Kobaltminen im Kongo kaum möglich wäre. Das datafizierte Leben agiert notwendig datenkolonialistisch. Selbst der technologiepessimistische israelische Historiker Yuval Harari widmet sich in seinem Buch »Nexus« (deutsch 2024) dem Begriff Datenkolonialismus, der von Nick Couldry stammt. Rushkoff unterschlägt die Feinheiten der Analyse des zeitgenössischen techno-kapitalistischen Dispositivs, indem er mit Rückgriffen auf den Begriff der Natur arbeitet, auf ein Leben der Nachbarschaftshilfe ohne unnötige Reiseaktivitäten usw. hofft.
Rushkoffs ideologiekritischer Flug ins All, wie das »Mindset« es sieht, nämlich als zu eroberndes Niemandsland, verpasst Möglichkeiten des Erzählens. So könnte bei diesem Genre – empirische Medienforschung als teilnehmende Beobachtung der bekannten Techmilliardäre – angenommen werden, dass es sich bei diesem Material samt ausufernder Erörterungen der ideologischen Implikationen auch um literarisches Material handeln könnte, zumindest um eine Form der subtilen Weltwegrissliteratur, die sich im Sachbuchmodus ab und an Bahn bricht. Etwas Foster-Wallace-artiges, nicht als ironische Verspieltheit, aber als Beschreibungsmodus, der Leser inspiriert und in der Spur hält. Statt dessen überreizt Rushkoff sein »diabolisches Spiel« der Teilhabe an den Meetings der Techgiganten: Er ist dort gern gesehener Experte und möchte mit der Kraft des besseren Arguments überzeugen, auf dass die Techmilliardäre andere Perspektiven auf- und einnehmen, etwa die von Kooperativen und Genossenschaften. Das scheitert zwangsläufig. Deutsche Investmentbanker sind entsetzt, fühlen sie sich doch in der technologischen Blase geborgen. Rushkoff aber möchte wachrütteln. Marshall McLuhans medienökologischer Fokus auf Feedbackschleifen im kybernetischen Zeitalter, auf mediale und digitale Mustererkennung für Kreisläufe, auf technologische Möglichkeiten, andere Modalitäten des Lebens zu entwickeln, ist in Rushkoffs Denken nur technologische Fiktion und Allmachtsphantasie. Aber sind es nicht gerade auch die Cyberfeministinnen von Donna Haraway über Paul Preciado bis aktuell zu Legacy Russell, die etwas andere kritische Operationen in das Technologische einführen, ohne in die Trickkiste des »Digital Detox« zu greifen?
Apokalyptische Szenarien
In den Feldern des Technologischen lauert die Apokalypse. Das scheint für Rushkoff die wichtigste Erkenntnis zu sein. Er zieht eine düstere Bilanz der letzten 30 Jahre. Immer mehr dominieren Auflösungsphantasien, die mit den Fieberträumen der Techideologen einhergehen, als würde es einen Dropbox-Plan geben, der »uns in die Lage versetzen wird, Geist und Körper in unsere Cloud hochzuladen«. Wir aber bleiben, so Rushkoff, »auf dem Boden, umgeben von denselben Menschen und auf derselben Erde, die zu verlassen man uns auffordert. Wir können der übrigen Menschheit nicht entkommen. Aber die digitalen Technologien erlauben uns, so zu tun, als könnten wir es.« Dass die Menschen nun ihre eigene Abschaffung genießen, dass digitale Technologie sie elektrisiert, ist nicht an die Hoffnung gebunden, dass sie wieder zu sich selbst finden mögen. Auch das Science-Fiction-Genre, deren afroamerikanische Vertreter Octavia Butler und Samuel L. Delany längst alle Szenarien der Roboteraufstände und hybriden posthumanistischen Androidsituationen literarisch durchgearbeitet haben, ist vor Rushkoffs Kritik nicht sicher, so als wolle er auf seiner Mission Günther Anders’ Begriff der Apokalypseblindheit neu beleben. Zur Erinnerung drei Szenarien: die Apokalypse, die bereits stattgefunden hat (Afrofuturismus); die Apokalypse, die stattfinden wird (Günther Anders) oder die Apokalypse, die enttäuscht (Maurice Blanchot vs. Karl Jaspers). Standen aber wirklich alle Fragen, die das Verhältnis Mensch und Maschine, Mensch und Roboter erörterten, im Zeichen einer erdabgewandten postmodernen Zukunftsforschung, die sich für das Elend der Welt nicht interessierte? Das ist ein Schlag ins Gesicht aller Neomaterialisten, die in die Feinheiten der Frage nach nichtmenschlichen Akteuren eintauchen, um zugleich die Fragen nach dieser zerbrechlichen digitalen Substanz an das Politische zu binden.
Eine zutiefst widersprüchliche Doppelbewegung durchzieht Rushkoffs Buch: Einerseits das wichtige Aufspüren eines (post-)apokalyptischen Mindsets der Techmilliardäre mit ihren Bunker- und Survivalstrategien. Andererseits schlägt Rushkoff selbst einen apokalyptischen Ton an. Was er 2022 nicht antizipieren konnte: Zwei Linien deuten sich aktuell an. MAGA-Faschisten wie Steve Bannon hassen die Technologiemacht des Silicon Valley. Ihnen geht es um eine Restauration der amerikanischen Kultur, die nach Jahrzehnten globaler Technologiebewegungen zurückgewonnen werden müsste. Musks »beschleunigter Technofaschismus« hingegen zeichnet sich auf einer anderen, aktuell dominierenden Linie ab – als datenkolonialistische Empowermentstrategie. Womit nicht zu rechnen war, ist, dass die Monstrosität dieses neuen Technofaschismus aus dem Weißen Haus einen Ort billiger Autohausverkaufsshows für Tesla machen könnte – »It’s all computer!« (Trump). Bei tendenziell sinkenden Aktienkursen der Firma ist das wohl eine groteske Form von »Survival of the Richest«.
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