Die Ursprache des Glücks
Von Andreas Maier
Ritchie Blackmore ist Ursprache. Jeder Gitarrist weiß das, mehr noch: Jeder, der einmal eine Gitarre in der Hand hatte, ohne sie zu lernen, weiß das. Das erste, was der Mensch spricht, hat stets mit dem Vokal A zu tun und umkreist das spätere Wort Mama. Das erste, was der Mensch probiert, wenn er eine Gitarre in die Hand bekommt, ist der Riff von »Smoke on the Water«. Blackmore ist somit tiefer als eine bloße Kulturleistung. Er ist Biologie. Menschheitsgeschichte.
In die Welt kam dieses Wunder für mich, den Wetterauer, als ich fünf oder sechs Jahre alt war, denn mein Bruder hörte Deep Purple. Damals hatte ich vom Gitarrespiel keine Ahnung. Etwas wie »Speed King« kam mir unfassbar vor – natürlich der unglaublichen Geschwindigkeit wegen. Hochleistungsgeschwindigkeit ist ein Problem. Das weiß ich von mir selbst. Ich habe Jahre auf der Gitarre mit dem Metronom verbracht. Die erste Etüde von Villa-Lobos habe ich dennoch maximal bei 138 geschafft. Ein Mitstudent kam auf 152. Was für eine Niederlage! Geschwindigkeit als Selbstzweck! Schafft man Virtuosität, wird’s oft vergleichsweise banal, denn dann ist’s ja egal, was man spielt, weil virtuos und damit bestanden! Das alles hat mit Ritchie Blackmore nichts zu tun. Das ist Hochleistung, war aber bei Deep Purple kein Gegnidel. Und natürlich hatte er bei Deep Purple in Jon Lord einen Gegner auf Augenhöhe, mit dem er sich duellieren konnte, wie es Sergio Leone nicht hätte besser inszenieren können. Episch!
Man muss sich das mal alles in Erinnerung rufen. »April«! Was für ein Schock, was für eine Welterfahrung, was für eine Schönheit, als ein Kind wie ich das zum ersten Mal hörte. Die ersten Töne von Blackmore auf der Stahlsaitengitarre kamen wie vom Himmel. Auch wenn sie mir heute etwas nach Ennio Morricone klingen, aber egal. Welchen Groove dieses Epos »April« hat! Ein Wahnsinn. Übrigens zeigte Blackmore schon hier, dass er als einer der wenigen Ahnung davon hat, wie man Arpeggien spielt und das auch sauber und gut ausgebildet beherrscht und sinnvoll einzusetzen weiß (siehe viel später die Improvisation live in Paris 2006 bei »Fires at Midnight«).
Deep Purple bestand aus musikalisch sehr klugen Köpfen. Schon damals, man verzeihe die Einsicht, konnte Musik kaum noch anders als epigonal funktionieren. Beatles, Led Zeppelin, Deep Purple, Emerson, Lake and Palmer und andere haben die große Kunst bewiesen, akkurat den Stilmix hinzukriegen. Oder sich sauber zwischen den Stilen zu halten. »Woman from Tokyo« etwa ist schön ange-bluest, weniger komplex als Led Zeppelin, aber straighter, und dennoch würde man nie sagen, dass das Blueselement je dezent überhandgenommen hätte wie etwa bei manchen Gilmour-Parts bei Pink Floyd. »Lazy« – was für ein schöner, kollegialer Drive, den Lord und Blackmore da entwickeln.
Die spätere Karriere ohne Deep Purple zeigt notwendigerweise andere Musik. »Difficult to Cure« von Rainbow ist kindergartengenial, ich muss immer lachen, wenn ich es höre. Blackmore’s Night mit dieser Adaption von Lautenmusik à la Mittelalterfestival, manches hört sich da an, als träfe Oldfield auf Abba und Tull, nicht abwertend – alle drei mag ich, bei Blackmore brauche ich es nicht unbedingt. Und das oben erwähnte Solo in Paris ist wirklich sehr schön, sehr klangschön, aber es grenzt auch an Lagerfeuermusik. Manchmal fehlt der Konterpart, der Widerspruch, das kann man selbst als Musiker allein wahrscheinlich nicht liefern. Die oben erwähnten Kollektive waren stets klüger und kampfbereiter als die Einzelleute am Instrument. Bei Deep Purple war es das absolute Glück. Ritchie Blackmore ist die gitarristische Ursprache dieses Glücks.
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Leserbrief von Anke Rössig aus Göteborg (Schweden) (15. April 2025 um 15:43 Uhr)Nichts gegen Ritchie Blackmore, der wirklich genial war. Aber der absolut legendäre Gitarrengott war Jimi Hendrix. Allein sein faszinierender Vietnamkriegs-Protest »Machine Gun« überragt alles, was Rockgitarristen je gespielt haben. Und auch den frühen Eric Clapton der 60er Jahre mit Cream und Blind Faith sollte man nicht vergessen.
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