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Aus: Ausgabe vom 15.04.2025, Seite 11 / Feuilleton
Festivalfilm

Nudeln und ihre Rezepte

67 Kurzfilme auf der Jagd nach den »Goldenen Reitern«: Am Sonntag ging das 37. Filmfest Dresden zu Ende
Von Sören Bär
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Aus der Kühlschrankperspektive: Das, was man erblickt, ist nie das, was man sehen will

»Solidarisiert euch!« lautete das Motto der 37. Edition des Filmfestes Dresden vom 8. bis zum 13. April. In Zeiten multipler Krisen und gesellschaftlicher Spaltungsanlässe ist Solidarität wichtiger denn je. Von 3.400 Einreichungen aus 107 Ländern kamen 380 Filme aus 61 Nationen in die Festivalselektion. Nach der Eröffnung am Dienstag abend im Filmtheater Schauburg konnten die Cineasten in der Festivalwoche täglich in bis zu fünf 90minütigen Sessions jeweils sechs Filme erleben. Allerdings ist das Festival von Mittelkürzungen betroffen. Führten Einsparungen diesmal nur zu einer kleineren Leinwand beim Open-Air-Kino, so würde die befürchtete Etateinbuße von bis zu 100.000 Euro künftig empfindlich ins Kontor schlagen.

In den Hauptkategorien internationaler, nationaler und mitteldeutscher Wettbewerb bewarben sich insgesamt 67 Kurzfilme um zehn »Goldene Reiter« sowie sieben Sonderpreise im Wert von insgesamt 70.500 Euro. Den mit 20.000 Euro am höchsten dotierten »Sächsischen Filmförderpreis« vergab die Jury an »Saigon Kiss« von Hong Anh Nguyen. Der subtil erzählte 22minütige Spielfilm erfuhr am Freitag abend im ausverkauften Fritz-Lang-Saal der Schauburg eine positive Resonanz. Die Kampfsportlehrerin Mo ist wie Tausende andere auf ihrem Motorroller im dichten Straßenverkehr der vietnamesischen Neun-Millionen-Metropole Ho-Chi-Minh-Stadt unterwegs, als ihr Blick plötzlich auf die Studentin und Tänzerin Vicky fällt, die ihr defektes Moped am Straßenrand schiebt. Auf ihrem Weg durch das Verkehrschaos finden die beiden jungen Frauen schnell eine gemeinsame Wellenlänge. Nachdem Vicky von Mo zu einer Werkstatt geschleppt wurde, überredet sie ihre Helferin, mit ihr zur Videoaufzeichnung ihrer Tanzperformance zu fahren. Während Mo permanent Anrufe ihrer kontrollsüchtigen Freundin abblockt, ist Vicky unschlüssig, ob sie in ihrer Heimatstadt bleiben oder nach Deutschland zurückkehren soll. Die Regisseurin Hong Anh Nguyen erzählt ein queeres Thema feinsinnig und unaufgeregt – ein cineastisches Meisterwerk.

Mit gleich zwei Preisen wurde »Do Something« bedacht – ein zwölfminütiger Animationsfilm, den Sofija Živković an der Filmakademie Baden-Württemberg erstellt hat. In einem dehydrierten menschlichen Körper befindet sich ein rotes Blutkörperchen auf der Mission, das Gehirn davon zu überzeugen, den Befehl zum Wassertrinken zu geben. Dafür gab es neben dem »Goldenen Reiter« für den besten Animationsfilm auch den vom MDR ausgelobten Publikumspreis. Ebenfalls doppelt ausgezeichnet wurde »Panadrilo« von Marcela Heilbron aus Panama. Juan wird beim Tauchen von einem Krokodil verschlungen, überlebt und genießt sein neues Dasein so sehr, dass er für immer im Alligator bleiben will. Dieser internationale Wettbewerbsbeitrag eroberte sowohl den »Goldenen Reiter« als bester Kurzfilm als auch den »Arte-Kurzfilmpreis«. Den mitteldeutschen Wettbewerb gewann Sophie Mühe mit »Social Club«, einer neunminütigen Dokumentation über die Unterstützung eines inklusiven Fußballvereins in Chemnitz durch die Fans von Proletik Sonnenberg. Den neu geschaffenen Publikumspreis trug »Detlev« von Ferdinand Ehrhardt davon – eine Geschichte über einen frierenden Mann, den nur sein täglicher Toast Hawaii an der Tankstelle erwärmt. Eine Dresdner Spezialität sind die beiden von Jugendjurys vergebenen Preise. Im internationalen Wettbewerb fiel die Wahl auf »Vox Humana« von Don Josephus Raphael Eblahan über einen in den Wäldern lebenden Mann, der verdächtigt wird, alle Naturkatastrophen ausgelöst zu haben, die zur Verwüstung einer Bergstadt geführt haben. Im nationalen Wettbewerb entschieden sich die Jugendlichen für »The Male Gaze Recipe« von Alma Weber und Joey Arand, eine Art Sequel ihrer gemeinsamen Arbeit »Keine Nudeln für Courbet«. Darin verknüpft Weber eine explizite Masturbationsphantasie mit einem Nudel-Brokkoli-Gratin-Rezept ihrer Oma und nimmt eine Perspektive ein, die sie für eine typisch männliche bzw. »patriarchalische« hält, wie sie im Interview äußert.

Als einer von fünf »Short Tigers« – Filmen mit maximal sieben Minuten Dauer – wurde das knapp dreiminütige Werk »Spätsommer 91« von Olaf Held prämiert. Der 1970 in Karl-Marx-Stadt geborene Held hat dafür altes privates Videomaterial ausgegraben. Bei einer Geburtstagsfeier im Spätsommer 1991 wird ausgiebig Tequila konsumiert, bis das Salz ausgeht und die Polizei auftaucht. Mit seiner wunderbar nos­talgischen Retrospektive auf die Freundschaft hat Held schon den »Dreifachen Axel« beim Kurzfilmfestival Hamburg gewonnen. Prädikat sehenswert!

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