Auf Behörden kein Verlass
Von Max Grigutsch
Besonders im Kontakt mit Behörden wurden im Jahr 2024 vermehrt antiziganistische Vorfälle gemeldet. Das legt der am Dienstag in Berlin vorgestellte Kurzbericht der Berliner Dokumentationsstelle Antiziganismus (Dosta/MIA) nahe. Demnach wurden der Stelle im vergangenen Jahr insgesamt 247 Vorfälle zur Kenntnis gebracht – die höchste Jahresfallzahl seit Dokumentationsbeginn. Dennoch werde die »Existenz von Antiziganismus immer wieder angezweifelt«, kritisierte Violeta Balog, Projektleiterin von Dosta/MIA, am Dienstag bei einer Pressekonferenz in der Hauptstadt.
Für 2024 wurden Vorfälle insbesondere im Behördenkontakt (49 Fälle), in der Bildung (47) sowie im Alltag und öffentlichen Raum (45) erfasst. Auch in der Sozialen Arbeit wurden 27 Fälle verzeichnet. Die Zahlen beziehen sich auf das Land Berlin. Die Verfasser gehen von einer deutlich höheren Dunkelziffer aus. 1.749 antiziganistische Fälle wurden seit Projektbeginn im Jahr 2014 dokumentiert.
Beim Behördengang erfahren Betroffene laut dem Bericht oft »kriminalisierende Unterstellungen sowie unverhältnismäßige und nicht gerechtfertigte Mitwirkungsaufforderungen«, etwa durch Anforderung von irrelevanten Unterlagen. »Beim Kontakt zu Behörden werden Menschen, die Rom:nja sind oder für solche gehalten werden, oft existentielle Leistungen verwehrt«, heißt es in dem Bericht, »vor allem im Kontakt mit der Bundesagentur für Arbeit«. Auch wird eine Zunahme »abwertender, kulturalisierender und rassistischer« Äußerungen durch Behördenmitarbeiter beanstandet. Ähnliche Muster dokumentiere die Meldestelle schon seit Jahren, heißt es in dem Bericht.
Die Projektbeteiligten sehen eine »erschreckende Zunahme rechtsradikaler Tendenzen in der Gesellschaft« als ursächlich für den Anstieg der erfassten Fälle, erklärte der Verein Amaro Foro e. V., an den die Meldestelle angegliedert ist, am Dienstag in einer Mitteilung. Die Fallzahl spiegele zwar in erster Linie das Meldeverhalten wider, sagte Balog. Dennoch stelle man im Kontext des gesellschaftlichen Rechtsrucks eine »niedrigere Hemmschwelle« und »mehr Aggressivität im öffentlichen Raum« fest, ergänzte ihre Kollegin Valerie Laukat.
Die »Bedrohung für Sint:izze und Rom:nja im öffentlichen Raum wächst und wird mit dem Aufstieg rechter Parteien und dem Rechtsruck der Mitte immer brutaler«, argumentiert Dosta/MIA in dem Bericht. Im öffentlichen Raum wurden dem Projekt »besonders viele Beleidigungen, Bedrohungen und tätliche Angriffe gemeldet«. Gerade »Romnja oder als solche gelesene Frauen« seien von antiziganistischer Gewalt betroffen. Auch im Bereich Bildung und im Kontakt mit der Polizei wurde Gewalt dokumentiert.
Zum Kontakt von Betroffenen mit staatlichen Repressivorganen vermerkt die Meldestelle 14 antiziganistische Vorfälle. Bei den meisten handele es sich um »Racial Profiling«, »Abweisungen von Anzeigen« oder »unverhältnismäßig hartes Vorgehen gegen Betroffene aus der Minderheit«, schreiben die Autoren. Ohnehin sei die Polizei »nicht die Instanz, bei der die Community Schutz sucht«, merkte Balog auf Nachfrage an. Die dokumentierten Meldungen seien »keine Einzelfälle«, das Problem werde »nicht ernstgenommen«.
Um die Lage zu verbessern, versuche man selbstverständlich mit Politik und Verwaltung »in Dialog zu treten«, sagten die Projektbeteiligten gegenüber den anwesenden Journalisten. Allerdings bekämen sie selten eine Antwort. Ob die künftige Bundesregierung den Posten des Antiziganismusbeauftragten beibehalten wird, steht derzeit noch in den Sternen. Seit 2022 bekleidet Mehmet Daimagüler das von der Ampelkoalition geschaffene Amt. Im Koalitionsvertrag von CDU, CSU und SPD heißt es: »Das ausgeuferte Beauftragtenwesen des Bundes reduzieren wir um rund 50 Prozent«.
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