Wieder Eiszeit
Von Bernard Schmid, Paris
Viele glaubten an eine Beruhigungsphase, doch nun hat sich das Verhältnis zwischen der früheren Kolonialmacht Frankreich und Algerien erneut stark verschlechtert. Nach mehreren Polemiken zwischen Paris und Algier seit Anfang Januar, etwa um erfolglose Abschiebungsversuche von algerischen Staatsangehörigen, hatten sich die Beziehungen kurzzeitig entspannt. Auch der Einfluss der Hardliner auf die französische Außenpolitik, etwa in Gestalt des Innenministers Bruno Retailleaus, der aus der inzwischen aufgelösten rechtskonservativen Kleinpartei Mouvement pour la France (MPF) stammt, schien abzunehmen. Am 31. März telefonierten die beiden Staatspräsidenten Emmanuel Macron und Abdelmadjid Tebboune miteinander. Am 6. April folgte der Besuch des Außenministers Jean-Noël Barrot in Algier. Die Medien sprachen von einem konstruktiv verlaufenen Treffen.
Doch nun schlagen die Wogen wieder hoch. Am Montag wies Algerien zwölf französische Konsularbeamte aus, diese erhielten 48 Stunden Zeit, um das Land zu verlassen. Barrot kündigte umgehend Gegenmaßnahmen an. Laut dem öffentlich-rechtlichen Fernsehsender France Info TV schaltete sich Macron direkt ein und wollte sich 48 Stunden Zeit für eine Richtungsentscheidung lassen. Anlass für den Ausweisungsbeschluss aus Algier war die vorausgegangene Festnahme von drei algerischen Staatsbürgern, darunter ein Bediensteter des algerischen Konsulats in der Pariser Trabantenstadt Créteil, die am Wochenende durch die französischen Medien ging. Ihnen wird vorgeworfen, eine Rolle bei der Entführung des algerischen, berbersprachigen Bloggers, Oppositionellen und in Frankreich anerkannten politischen Flüchtlings Amir Boukhors am 29. April vorigen Jahres gespielt zu haben.
Die algerische Seite wiederum gibt offiziell vor allem dem Minister Retailleau an dem Eklat die Schuld: Dieser sei gezielt darauf aus, Öl ins Feuer zu gießen. Algier wirft französischen Regierungskreisen dabei vor allem vor, sich nicht an die ungeschriebene zwischenstaatliche Regel zu halten, die jeweils andere Seite über diplomatische Kanäle zu unterrichten, wenn solcherlei Vorkommnisse im Raum stehen. Der französische Linkspolitiker Éric Coquerel, Abgeordneter von La France insoumise (LFI) und Vorsitzender des Finanzausschusses der Nationalversammlung, schätzt die Dinge ähnlich ein: »Man kann sich fragen, ob Bruno Retailleau nicht versucht, die algerische Akte wieder in seine Hände zu bekommen, nachdem der Präsident ihn glücklicherweise in die Ecke gestellt hatte«, erklärte Coquerel am Montag.
Gleichzeitig ist es möglich, dass es von einer der Seilschaften in der algerischen Politik den Versuch gegeben hat, oppositionelle Stimmen auch mit illegalen Mitteln zum Schweigen zu bringen. Die Entführung von Boukhors trägt allerdings die Handschrift von Dilettanten. So wurde der Blogger an jenem Apriltag vor einem Jahr laut seinen Schilderungen zunächst aus dem Raum Paris nach Ostfrankreich gefahren, dann wurde ihm eine Weiterfahrt nach Amsterdam angekündigt, bevor die Fahrt schließlich in einem Waldstück endete. Boukhors wurde eine Unterredung mit einem »algerischen Verantwortlichen« angekündigt – dazu kam es jedoch in keiner Form. Nach insgesamt 27 Stunden Freiheitsberaubung wurde Boukhors dann plötzlich, ohne weitere Erklärungen, bei Nacht freigelassen. Das Ganze wirkt insgesamt eher planlos.
Der wichtigste Auslöser der aktuellen Spannungen – neben dem allgemeinen postkolonialen Hintergrund und den teilweise unaufgearbeiteten französischen Verbrechen etwa im algerischen Unabhängigkeitskrieg von 1954 bis 1962 – ist die offizielle Übernahme der marokkanischen Position zur von ihr besetzten Westsahara. Macron hat, wie vor ihm bereits Donald Trump, am 30. Juli vergangenen Jahres die Sichtweise Rabats übernommen, nach der für die Westsahara maximal eine Autonomie im marokkanischen Staatsverband in Frage komme. Erst am Dienstag bezeichnete Außenminister Jean-Noël Barrot diese Position Frankreichs als »unverrückbar«.
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