Polizeiliche Willkür

Mit einer Hörsaalbesetzung an der Humboldt-Universität Berlin (HU) haben Studenten am Mittwoch gegen Abschiebungen und den Genozid in Gaza demonstriert. Die Besetzer versammelten sich ab 14 Uhr im Gebäude des Emil-Fischer-Hörsaals. Bis 20 Uhr wurden sie auf Geheiß des Unipräsidiums polizeilich geräumt. In einer Pressemitteilung von Donnerstag beanstandete die Uni einen »erheblichen Sachschaden«. Das Präsidium habe »unmittelbar entschieden«, die Polizei zu rufen. Nach deren Angaben waren rund 350 Beamte im Einsatz, 100 Strafverfahren wurden eingeleitet.
Fragwürdige Angaben machte die Staatsgewalt zu den Teilnehmerzahlen. Die Polizei will 89 Menschen aus dem Hörsaal entfernt haben. Nach Auswertung von Foto- und Videomaterial eines jW-Reporters vor Ort haben sich aber nur rund 45 Studenten im Gebäude aufgehalten. Ihnen wird nun schwerer Hausfriedensbruch, besonders schwerer Landfriedensbruch, Volksverhetzung, Verwenden von Kennzeichen verfassungswidriger und terroristischer Organisationen sowie der Widerstand gegen Polizeibeamte vorgeworfen. Einige Demonstranten berichteten noch am Mittwoch abend gegenüber jW von Misshandlungen durch Polizisten; ein Besetzer trug augenscheinlich eine Platzwunde davon.
Polizeiliche Willkür kennzeichnete auch den Umgang mit drei anwesenden Journalisten, darunter ein jW-Mitarbeiter, die sich zwecks Berichterstattung klar abgesetzt von den Besetzern im Gebäude aufhielten und Videos sowie Fotos machten. Alle drei waren durch Presseausweise und Arbeitsgerät eindeutig zu erkennen, der jW-Reporter trug zudem eine gelbe Presseweste der Journalistengewerkschaft DJU in Verdi. Dennoch wurden sie vor der Räumung aus dem Gebäude entfernt und so an ihrer Arbeit gehindert. Die Journalisten wurden über eine Stunde lang festgesetzt, ihr Arbeitsmaterial beschlagnahmt, anschließend wurden sie über Strafverfahren belehrt und des Platzes verwiesen. Auf jW-Anfrage erklärte ein Polizeisprecher am Mittwoch vor Ort: »Journalisten stehen nicht außerhalb der Rechtsordnung.« Die DJU Berlin-Brandenburg teilte über den Onlinedienst X am Donnerstag mit, sie hätten die HU schriftlich dazu aufgefordert, von Strafanzeigen gegen Journalisten abzusehen: »Die Pressefreiheit muss auch im Rahmen von Besetzungen gewährleistet sein.« (jW)
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