Ohne Beijing geht es nicht
Von Klaus Fischer
Die deutsche Wirtschaft ist weiter in der Krise, das Bruttoinlandsprodukt (Wirtschaftsleistung; BIP) zwei Jahre in Folge geschrumpft. Auch für 2025 stehen die Zeichen auf Rezession. Die ohnehin komplizierte Lage der stärksten Wirtschaftsmacht Westeuropas, verursacht etwa durch die Kappung der Beziehungen zu Russland und die feindselige Politik gegenüber China, hat sich durch den US-Zollkrieg gegen den Rest der Welt weiter verschärft. Das führte bei Vertretern des hiesigen Kapitals zu einer Art Offenbarungseid, verbunden mit einer Ansage an die Politik: Ohne Beijing geht es nicht.
»Deutsche Unternehmen in China erwarten mehr Rückhalt von der Bundesregierung und eine ausgewogenere Beziehung, die China auch als Partner sieht«, zitierte Reuters am Dienstag das geschäftsführende Vorstandsmitglied der Deutschen Handelskammer in Nordchina, Oliver Oehms. Die derzeitige Wahrnehmung Chinas in der BRD stelle für die Unternehmen »eine erhebliche Hürde dar«. Die aktuelle handelspolitische Lage biete China und der EU eine Chance, neue Brücken zu bauen.
Damit mahnte der Kapitalfunktionär nicht weniger als einen politischen Kurswechsel an. Heißt: Es braucht eine Partnerschaft Deutschlands und der EU mit China – zwangsläufig gegen die USA. Der Lobbyist dürfte nicht ohne Rückendeckung wichtiger Vertreter des hiesigen Kapitals vorgeprescht sein. Die Lagebeschreibung konstatiert die politische Klemme, in der sich Deutschlands Ökonomie derzeit befindet – und die zum Teil auf eigenen Entscheidungen beruht. »Einige deutsche Unternehmen machen ganz grundsätzlich Druck, dass die neue Bundesregierung unter diesen neuen Vorzeichen eine neue Tonalität mit Beijing anschlagen soll – und Rahmenbedingungen für Engagement ohne Zurückhaltung schaffen soll«, zitierte Reuters Mikko Huotari, Direktor des China-Instituts Merics.
Im Gegensatz zur BRD-Wirtschaft, die weiter durch nicht konkurrenzfähige Energiepreise, eine Pleitewelle, Fachkräftemangel und närrische politische Entscheidungen gebremst wird, steht China recht gut da. Die Wirtschaftsleistung der Weltindustriemacht ist im ersten Quartal um satte 5,4 Prozent gestiegen, wie das dortige Statistikamt jüngst meldete. Die US-Zölle wurden mit Gegenzöllen beantwortet, Trump setzte die Abgaben auf Computer, Smartphones und weitere elektronische Waren daraufhin aus.
Auch die Volksrepublik dürfte eine echte Verbesserung der Handelsbeziehungen mit der EU und ihrem wirtschaftlichen Zugpferd BRD begrüßen. Denn die US-Zölle insgesamt und die Art, wie sie als Waffe im globalen Konkurrenzkampf eingesetzt werden, drohen den Handel zwischen den ökonomischen Supermächten zum Erliegen zu bringen. Dies würde nicht nur US-Konsumenten insgesamt und dortige Konzerne wie den Börsenliebling Nvidia – dessen Chef diese Woche unangekündigt in der Volksrepublik gesichtet wurde – treffen. Auch für Beijing erwachsen daraus große Probleme.
Die Wirtschaft der Volksrepublik wäre zumindest zwischenzeitlich gezwungen, entweder Fabriken zu schließen, Millionen Jobs zu vernichten oder die Warenströme aus den vorhandenen Kapazitäten anderswohin umzuleiten. Doch weder die EU noch andere Staaten – insbesondere aus dem bislang durch Schweigen und Interessenkonflikte aufgefallenen BRICS-Verbund – könnten diese Waren aufnehmen, ohne selbst ihre Probleme zu verschärfen.
Das zwingt geradezu zu einer Partnerschaft. BRD und EU stünden nun wie China durch die US-Zollpolitik unter Druck, »alle Anker in den Außenwirtschaftsbeziehungen zu sichern«, hatte Merics-Chef Huotari weiter erklärt. Chinas Offensive und europäische Offenheit dafür hätten zuletzt immerhin zugenommen. »Dem wird sich auch ein Kanzler Merz nicht in den Weg stellen.«
Dieser Optimismus ist bislang eher unbegründet. Es ist fraglich, ob die kommende Regierung aus Union und SPD den wachsenden Unwillen der Wirtschaft wahrnimmt. Kanzlerkandidat Merz, ehemaliger Blackrock-Repräsentant, ist bislang nicht durch substantielle politische Ansagen zur Linderung der Wirtschaftskrise aufgefallen. Seine kriegerische Rhetorik gegen Russland und die geplanten Kriegskredite ausgenommen.
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