Chatverläufe und ein Video
Von Max Grigutsch
Im Prozess um den Angriff auf den Studenten Lahav S. im Februar 2024 ist der angeklagte Exkommilitone am Donnerstag wegen gefährlicher Körperverletzung zu drei Jahren Haft verurteilt. Das Amtsgericht Tiergarten geht von einem antisemitischen Motiv aus. Das Urteil ist noch nicht rechtskräftig.
Der 24jährige Berliner mit palästinensischen Wurzeln hatte die Tat bei einem früheren Termin gestanden, aber einen antisemitischen Beweggrund bestritten. Strafverteidiger Ehssan Khazaeli plädierte auf eine Bewährungsstrafe von einem Jahr und neun Monaten sowie eine Geldauflage, die Staatsanwaltschaft forderte ein Strafmaß von zwei Jahren und vier Monaten Haft. Der Vorsitzende Richter Sahin Sezer ging darüber hinaus. In einer Pressemitteilung des Gerichts von Donnerstag wird festgestellt, dass der Verurteilte das Existenzrecht Israels leugne. Auch aus »generalpräventiven Gründen« habe eine »relativ hohe Strafe verhängt werden müssen«; die »freiheitlich-demokratische Gesellschaft als Ganzes sei angegriffen worden«.
Der Verurteilte soll dem inzwischen 32jährigen Opfer am 2. Februar 2024 nach einem Barbesuch in Berlin-Mitte ins Gesicht geschlagen und es getreten haben. Der Student der Freien Universität Berlin (FU) hatte mehrere Frakturen davongetragen. Der Beschuldigte hatte erklärt, die Attacke sei eine »Kurzschlussreaktion« und »in keiner Weise« politisch gewesen. Staatsanwalt Tim Kaufmann argumentierte am Donnerstag hingegen, es handele sich um einen »antisemitischen Gewaltexzess«. S. sei angegriffen worden, »weil er Jude ist und sich gegen Antisemitismus einsetzt«. In seinem Schlusswort entschuldigte sich der Angeklagte bei S.
Aufgrund des enormen Anstiegs antisemitischer Straftaten in Deutschland, so der Richter, müsse der Rechtsstaat hart durchgreifen. Wie in den hier herangezogenen Statistiken wurde auch am Donnerstag vor Gericht kaum zwischen Kritik an der israelischen Regierung und Judenhass differenziert. Zur Erörterung der Beziehung zwischen dem Beschuldigten und S. wurden Nachrichtenverläufe aus universitären Chatgruppen herangezogen, in denen es größtenteils um Meinungsverschiedenheiten von Lehramtsstudenten bezüglich des Umgangs mit dem Gazakrieg ging. Hier äußerte der Angeklagte Sympathien für propalästinensische Positionen.
Eindeutig antisemitisch war hingegen ein Video, das im Handyspeicher des Verurteilten gefunden worden war. In der Aufnahme ist der mutmaßliche Tatort mit der Textzeile, der Angeklagte habe »diesen Judenhurensohn totgeschlagen«, zu sehen. Nicht nachweisen konnte man, ob der 24jährige das Video aktiv heruntergeladen oder überhaupt gesehen hatte.
Auf Initiative der Verteidigung fanden auch Videos Einzug in den Prozess, die Provokationen von S. am Rande einer von linken Gruppen organisierten, propalästinensischen Hörsaalbesetzung an der FU Berlin im Dezember 2023 darlegen. Die Videos zeigen den Studenten, wie er einen mit gelber Weste gekennzeichneten Ordner schubst und an Wänden aufgehängtes Druckmaterial abreißt. Darauf waren Fotos von der Zerstörung Gazas sowie genozidale Zitate israelischer Politiker zu sehen. Nach jW-Informationen hatte der Verurteilte allerdings nichts mit der linken Palästina-Solidaritätsbewegung an der FU zu tun.
Eine analytisch zweifelsfreie Antwort auf die Frage nach einem tatsächlich antisemitischen Hintergrund der Tat lieferte das Gericht nicht. Für die im Saal anwesenden Medienvertreter und Zuschauer wurde jedenfalls ein Bild im Sinne der deutschen Staatsräson gemalt. Ein »gutes und gerechtes Urteil«, befand der Antisemitismusbeauftragte der Bundesregierung, Felix Klein, der erneut vor Ort war, am Donnerstag laut RBB.
links & bündig gegen rechte Bünde
Jetzt den kostenlosen jW-Newsletter abonnieren – täglich das Beste aus der Tageszeitung junge Welt, direkt in Ihr Postfach. Ihre E-Mail-Adresse wird natürlich niemals an Dritte weitergegeben.
Ähnliche:
- Lisi Niesner/REUTERS09.04.2025
Antisemitisch oder nicht?
- Paul Zinken/dpa05.06.2024
Hochschulen der »Staatsräson«
- Christoph Gollnow/dpa22.05.2024
Akademische Einigkeit
Mehr aus: Inland
-
»Menschen fragen sich, warum Geld für Rüstung da ist«
vom 19.04.2025 -
Polizeiliche Willkür
vom 19.04.2025 -
Die nationale Dimension
vom 19.04.2025 -
Ohne Beijing geht es nicht
vom 19.04.2025 -
Traditionsdruckerei vor dem Aus
vom 19.04.2025 -
»Ich habe das eins zu eins in den 90ern erlebt«
vom 19.04.2025