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Aus: Ausgabe vom 19.04.2025, Seite 11 / Feuilleton
Kunst

Der halbleere Raum

Kunst der Partizipation: Die Ausstellung »Yoko Ono – Music of the Mind« im Berliner Gropius-Bau
Von André Weikard
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»Es gab einen halbleeren Raum in meinem Leben« – Yoko Ono, »Half-A-Room« (1967)

Dem Frieden eine Chance zu geben, das ist im Jahr 2025 nicht gerade groß in Mode. Der Gropius-Bau in Berlin tut es, indem er eine der einflussreichsten Pazifistinnen des 20. Jahrhunderts in den Fokus rückt. Yoko Ono, die »War is over, if you want it« weltweit plakatieren ließ und die Presse zu ihren Flitterwochen mit John Lennon ins Bett holte, um gegen den Vietnamkrieg zu protestieren, appelliert auch heute noch an ihr Publikum.

Es ist ein Appell, die eigene Vorstellungskraft zu nutzen. Um die zu trainieren, stellt die 1933 geborene Ono den Ausstellungsbesuchern konkrete Aufgaben. »Male ein Bild. Stelle die Leinwand in einer Vollmondnacht in den Garten. Wenn die Sonne aufgeht, zerstückele das Bild und begrab es im Garten.« So lautet eine. »Geh ins Fußballstadion. Schau nicht auf das Spielfeld, sondern stelle dich so hin, dass du in die Gesichter der Fans blickst.« lautet eine andere. Auf den Perspektivwechsel drängen, Vergänglichkeit bewusst machen, das ist nicht Yoko Onos ureigene Erfindung. Es sind Motive aus dem japanischen Zen-Buddhismus, sagte die Kuratorin Patrizia Dander schon am Eröffnungsabend der Ausstellung in der Kunstsammlung NRW in Düsseldorf im Oktober des vergangenen Jahres. Solche Lektionen in die Kunstwelt getragen zu haben ist Onos Verdienst bis heute.

Fluxus, Konzeptkunst oder feministische Kunst sind Strömungen, die sich in ihren Arbeiten wiederfinden lassen. Angefangen mit der legendären Performance »Cut Piece« (1965 in New York, aufgenommen von dem ebenso legendären Dokumentarfilmer Albert Maysles), bei der Yoko Ono ihrem Publikum gestattet, ihr mit der Schere die Kleidung zu zertrennen, hat sie immer wieder die Grenze zwischen Besuchern und Bühne aufgehoben, das Publikum zu einem Teil ihrer Arbeiten gemacht. So entkleidet sie im Fall von »Cut Piece« weniger sich selbst, sondern die männliche Lust an der Gewalt gegenüber einer wehrlosen Frau. Was etwa eine Marina Abramović heute notorisch macht, ist ohne das große Vorbild der 1,57 Meter kleinen Japanerin kaum denkbar.

In etwas mehr als 200 Arbeiten sind sieben Jahrzehnte des umtriebigen Schaffens von Yoko Ono abgebildet. Ein Video einer späten (2003, beinahe vier Jahrzehnte nach der Uraufführung) Neuauflage der »Cut Piece«-Performance flimmert groß in der Raummitte. Die berühmte weiß gestrichene Leiter, die erst erklettert werden will, um hernach mit einer Lupe das Wörtchen »yes« an der Zimmerdecke entziffern zu können, ist zu sehen. Auch die weiß übertünchten Schachfiguren aus dem Jahr 1966, die ein Spiel gegeneinander praktisch unmöglich machen, da die Unterschiede zwischen den Parteien verschwunden sind, fehlen nicht.

Plattencover und Hörstationen bilden recht erwartbar die musikalischen Arbeiten ab. Überhaupt sind die Objekte, Videos und Instruktionen brav in Form eines Zirkeltrainings, wie man es aus zum Beispiel aus dem Schulsport kennt, lose in Entstehungsphasen gruppiert aneinandergereiht. Gegenwartsbezüge fehlen meist. Abgesehen vielleicht von der Installation »Wish Tree for Berlin« (1996/2025), die im Lichthof des Gropius-Baus dazu einlädt, »Friedenswünsche« auf kleine Zettel zu schreiben und an einen der insgesamt neun Bäume zu binden. Die politische Dimension des Werks von Yoko Ono zeigt sich noch einmal deutlich in der Installation »Add Colour (Refugee Boat)« (2016). In der Mitte des Raums steht ein weiß gestrichenes Flüchtlingsboot. In einer Schale liegen Stifte, alle blau. Wie das Meer, wie die Hoffnung, sagt Yoko Ono. Auf den Wänden stehen Sätze wie »Niemand ist illegal« oder »Leave no one behind«. Dazwischen haben Besucher ­Peace-Zeichen gemalt, Blumen, Oktopusse oder Meerjungfrauen. Lange halten sich die Menschen hier auf. Viele greifen zum Stift. Das Kunstwerk lebt, wächst.

Anders als ihre Kunst reise die 92jährige Yoko Ono nicht mehr, heißt es. Die Frau, die sich einst selbst ausgestellt hat, verbirgt sich schon seit Jahrzehnten hinter den schwarzen Gläsern einer Sonnenbrille und breitkrempigen Hüten. Einst angefeindet als vermeintliche Zerstörerin der Beatles und als Künstlerin lange unterschätzt, gehört ihr heute ein fester Platz im Kunstkanon. Auch wer durch die Ausstellung im Berliner Gropius-Bau geht, kann durchaus auf die Idee kommen, dass einmal der Tag kommen könnte, an dem Jüngere die Melodie von »Yellow Submarine« kaum mehr im Ohr haben werden, Yoko Onos Flüchtlingsboot aber noch immer in Museen ausgestellt sein wird.

»Yoko Ono – Music of the Mind«, Gropius-Bau, Berlin, bis 31.8.

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