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Aus: Ausgabe vom 22.04.2025, Seite 8 / Inland
Angriffe auf Journalisten

»Dieses falsche Narrativ hat ernste Konsequenzen«

»Reporter ohne Grenzen« rechtfertigt Polizeigewalt gegen Journalisten. Ein Gespräch mit Ignacio Rosaslanda
Interview: Nathaniel Flakin
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Polizeigewalt bei der Besetzung des sozialwissenschaftlichen Instituts der Humboldt-Universität Berlin (22.5.2024)

Die deutsche Sektion von »Reporter ohne Grenzen«, RSF, hat einen Bericht zur Pressefreiheit in Deutschland vorgestellt, darin wird behauptet: Die Gewalt gegen Journalisten habe sich verdoppelt. Für das Jahr 2024 dokumentiert die Nichtregierungsorganisation 89 Angriffe auf Medienschaffende. Auch Ihr Fall wird geschildert. Was ist passiert?

Seit dem Beginn der Palästina-Bewegung ist die Polizeigewalt in Berlin immer härter geworden. Ab einem gewissen Punkt schwappte sie auf die Presse über. Für mich persönlich kam der Höhepunkt bei der Besetzung eines Instituts an der Humboldt-Universität am 23. Mai vergangenen Jahres. Obwohl ich als Pressevertreter klar ausgewiesen war, wurde ich von hinten überfallen, geschlagen, in Handschellen gesteckt und stundenlang festgehalten. Sobald ich auf dem Boden lag, fing die Polizei an, Beweise gegen mich zu fingieren. Sie warfen mir Angriff auf einen Beamten, Widerstand gegen die Staatsgewalt und schweren Landfriedensbruch vor.

Wie gingen die Gerichtsprozesse aus?

Die juristische Aufarbeitung ging erst vor einem Monat zu Ende. Es war ein langer und teurer Prozess. Mich hat die Tatsache gerettet, dass ich meine Festnahme selbst gefilmt habe. Trotzdem wurde Anklage gegen mich erhoben. Die Bodycam-Aufnahmen der Polizei zeigten ebenfalls deutlich, dass der Polizist, der mich überfallen hatte, vor Gericht gelogen hat.

Hat sich die Polizei entschuldigt oder eine Entschädigung gezahlt?

Nein, entschuldigt hat sich die Polizei nicht. Der Richter teilte mir lediglich per Brief mit, dass die Beweise gegen mich nicht für eine Anklage reichten. Einer der Polizisten musste eine Geldstrafe von 90 Tagessätzen zahlen – aber nur, weil ich auf Grund meiner Verletzungen Anzeige erstattet habe. Dieses Geld ging an den Staat, ich bekam nichts.

Im RSF-Bericht wird die Polizeigewalt gegen Sie mit 45 Wörtern beschrieben. Doppelt so viel Platz nimmt die Rechtfertigung der Polizei ein. Hatte RSF Kontakt zu Ihnen aufgenommen?

Lustig, ich habe auch die Wörter gezählt. Nach dem Überfall hatte ich ausführliche Gespräche mit RSF, dem European Centre for Press and Media Freedom und dem Committee to Protect Journalists. Ich habe auch über die Angst unter Journalisten bei diesem Thema gesprochen. Nichts davon taucht im Bericht auf — auch kein Wort über die Falschdarstellung der Polizei. Statt dessen wird erläutert, dass es für die Polizei schwer sei, zwischen Journalisten und Aktivisten zu unterscheiden. Was soll das bedeuten? Ist Gewalt nur gegen die einen problematisch?

Die hohe Zahl der Übergriffe auf Journalisten im RSF-Bericht geht maßgeblich auf zwei Personen zurück: einen Reporter von Bild und einen Fotografen einer prozionistischen Lobbygruppe. Sind Ihnen diese zwei bekannt?

Nach 19 Monaten Demonstrationen kennt man sich. Ich habe beobachtet, was in verschiedenen Videos auf Social Media dokumentiert ist: diese proisraelischen Journalisten belästigen Demonstranten mit Vorwürfen des Antisemitismus, dann kommt es manchmal zu Eskalationen. Da muss man ihre Berufsethik zumindest hinterfragen.

Wirkt es, als würde RSF die Angaben dieser zwei Personen ungeprüft übernehmen?

Ich verstehe die Kriterien nicht. Ich habe verschiedene Dokumente zur Verfügung gestellt und wurde kein einziges Mal zitiert. Aber Behauptungen von Bild-Reporter Iman Sefati über Gewalt werden »nach eigenen Angaben« wiedergegeben. Im Gegensatz zur Beschreibung meines Falls folgt dann keine Gegendarstellung. Das, obwohl im gleichen Bericht festgehalten wird, dass verschiedene Journalisten Angst davor haben, von Bild denunziert zu werden. Schon aufgrund öffentlicher Informationen sollte man die Narrative über diese angeblichen Überfälle kritisch hinterfragen — sie dienen dazu, die Palästina-Demonstrationen aggressiv aussehen zu lassen. Dieses falsche Narrativ hat ernste Konsequenzen, wie wir bei den geplanten Abschiebungen von Berliner Aktivisten sehen.

Ignacio Rosaslanda ist Pressefotograf in Berlin

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