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Aus: Ausgabe vom 22.04.2025, Seite 8 / Ansichten

Ein Boykottaufruf

Elektronische Patientenakte
Von Oliver Rast
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Will sich unbedingt ein Abschiedsgeschenk auf Kosten gesetzlich Versicherter machen: Nochminister Karl Lauterbach

Nein, sie wollen nichts Gutes. Die Macher aus dem pharmaindustriellen Komplex (PIK) samt ministerialbürokratischem Anhang. Nicht mehr Patientenschutz, nicht mehr Hoheit über individuelle Gesundheitsdaten. Sie wollen nicht weniger, sie wollen mehr Zugriff auf heikles Material. Auf den Inhalt von künftig bis zu 70 Millionen elektronischen Patientenakten (ePA) gesetzlich Versicherter in der BRD.

Das, was der kommissarische Bundesgesundheitsminister Karl Lauterbach als »größtes Digitalprojekt« preist, ist eins: eine weitere Ökonomisierung des Gesundheitssektors, eine zusätzliche Inwertsetzung sensibler, hochpersönlicher Informationen. Sonst nichts.

Ende April fällt der Startschuss, so hat es der SPD-Nochminister beschlossen. Dann sollen die Leistungserbringer aus der Ärzteschaft der Haus- und Fachpraxen sowie der Kliniken die Digitalakten über ihre Patienten führen. Mit Beginn des Oktobers wird dies verpflichtend. Das Motiv von Lauterbach ist klar: Der ministerielle Sozialdemokrat will nach dreijähriger Amtszeit mit einem »Leuchtturmprojekt« ausscheiden, mit einem finalen Erfolg. Und nicht zuletzt gigantischen Techkonzernen gefallen.

Meta, Google, Open AI und Co. sollen nämlich Nutzungsoptionen erhalten, auf das lukrative Material zugreifen können. Verbrämt als Akt zum Wohle der Patienten. Nur, es ist eine Wohltat für den PIK. Denn bis zu drei Billionen Euro soll das Gesundheitsdatenvermögen deutscher Arztpraxen wert sein.

Kein Wunder also, dass Lobbyisten von Pharmafirmen Schlange stehen, auf die Datensätze stieren. Einen Zuschlag für den Zugriff erhalten sie etwa, wenn sie Forschungszwecke und Produktinnovationen vortragen können – und seitens des Bundesinstituts für Arzneimittel und Medizinprodukte grünes Licht bekommen. Gibt es weitere Schlupflöcher? Sicher doch. Bei medizinischen Notständen, Krisen in der Gesundheitsversorgung, beispielsweise beim Ausruf einer pandemischen Lage. Dann gelten Ausnahmen, können Daten aus der ePA vom PIK abgegriffen werden.

Anders ausgedrückt, Lücken im System, Lücken mit System. Und wenn es nicht legal über Behörden geht, geht es illegal. Hacker vom Chaos Computer Club (CCC) brauchten Ende vergangenen Jahres nicht lange, ein paar Stunden virtuelle Frickelei – und schon lagen die Akten frei. Lauterbach meint, Sicherheitslücken seien geschlossen worden. CCC-Checker bestreiten das.

Was sagt die, die unsere Daten schützen soll – die Bundesdatenschutzbeauftragte Louisa Sprecht-Riemenschneider? Belangloses. Erst am Sonnabend bei Stern.de. Ein Widerspruch gegen den Datenzugriff sei eine »sehr persönliche Entscheidung«. Sie werde die ePA hingegen nutzen. »Aber ich kann jeden verstehen, der widerspricht.«

Ja, unbedingt. Widerspruch einlegen, als gesetzlich Versicherter bei den Krankenkassen. Patientenmacht mobilisieren. Ein bisschen jedenfalls. Kurz: Boykottiert die ePA! Das wäre gut.

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