Panik in Brüssel
Von Reinhard Lauterbach
Der Inhalt des öffentlich gewordenen Vorschlags der Trump-Administration für einen Ukraine-Friedensvertrag hat in Brüssel und Berlin blankes Entsetzen ausgelöst. Die EU-Chefdiplomatin Kaja Kallas nahm den ukrainischen Präsidenten Wolodimir Selenskij gegen Vorwürfe von Donald Trump in Schutz, er behinderte mit seiner Verweigerungshaltung mögliche Friedensverhandlungen. Sie schrieb, das wahre Hindernis für einen Frieden sei nicht die Ukraine, sondern Russland. Die Vorsitzende des Verteidigungsausschusses im EU-Parlament, die Rheinmetall-Lobbyistin Marie-Agnes Strack-Zimmermann (FDP), nannte den Trump-Vorschlag im RBB einen »Diktatfrieden« und eine »Kapitulationsurkunde«. Die EU habe jetzt schriftlich, dass die USA für die Europäer »keine Freunde jetzt und keine Verbündeten künftig« mehr seien. Der CDU-Außenpolitiker Roderich Kiesewetter forderte im ARD-»Morgenmagazin« die Bundesrepublik auf, sich an die Spitze einer »Koalition der Willigen« zu setzen, um die Ukraine mit allen verfügbaren Mitteln zu unterstützen. Eine europäische »Friedenstruppe« solle die Luftverteidigung der Westukraine übernehmen und die Grenze zu Belarus sichern, um ukrainische Truppen für die Front freizumachen. Was Kiesewetter nicht dazu sagte: Sein Vorschlag läuft auf eine faktische Teilung der Ukraine hinaus; genau das, was offiziell vermieden werden soll.
In der Ukraine flog Russland in der Nacht zum Donnerstag seinen bisher heftigsten Raketen- und Drohnenangriff gegen die Hauptstadt Kiew. Dabei wurden nach ukrainischen Angaben mindestens neun Menschen getötet und über 70 verletzt. Zehn Personen galten am Donnerstag mittag noch als vermisst. Unklar ist, was Ziel des Angriffs war. Die Ukraine erklärte, es sei ein Wohnblock im Schewtschenko-Bezirk von Kiew getroffen worden, außerdem die Metrostation Lukjaniwka. Diese liegt in der Nähe des bekannten Rüstungsbetriebs Artjom. Russland erklärte, der Schlag habe ukrainischen Rüstungsbetrieben gegolten. Dem steht allerdings entgegen, dass mehrere der Opfer offenbar Kinder waren. Weitere russische Angriffe gab es gegen Charkiw, Cherson, Dnipro und Schitomir. US-Präsident Donald Trump kritisierte den russischen Raketenschlag als »unnötig«; er sei zum völlig falschen Zeitpunkt gekommen. Trump beendete seine Botschaft mit dem Appell: »Wladimir, stop!«
Russland ließ unterdessen nicht erkennen, dass es mit den Angriffen aufhören werde, bevor die Ukraine sich zu den von Trump skizzierten Gebietsabtretungen bereitfindet. Die Sprecher des Kreml und des Außenministeriums, Dmitri Peskow und Marija Sacharowa, nannten die Ukraine unfähig und unwillig zu Kompromissen. Peskow ging in seinen Forderungen über Trump hinaus: Russland werde seinen Vormarsch sofort einstellen, sobald die Ukraine die vier von Russland beanspruchten Regionen vollständig geräumt habe. Das übersteigt die Zugeständnisse, die Trump der Ukraine offenbar abverlangt: die Krim und die jetzt bereits verlorenen Gebietsteile.
Der ukrainische Präsident Wolodimir Selenskij sagte, ein Verzicht auf die Krim und die besetzten Gebiete sei für die Ukraine undenkbar. Er würde »unseren Werten sowie der ukrainischen Verfassung« widersprechen. Es sei für die Ukraine schon ein großes Zugeständnis, überhaupt Gesprächen mit Russland zuzustimmen, sobald ein Waffenstillstand in Kraft sei. Er warf den USA vor, nicht genug Druck auf Russland auszuüben.
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Leserbrief von Istvan Hidy aus Stuttgart (24. April 2025 um 20:46 Uhr)Die Aufregung in Brüssel ist nachvollziehbar – und durchaus berechtigt. Denn die Reaktionen der EU-Politiker auf den Ukraine-Konflikt wirken weiterhin planlos, und von einer klaren Strategie fehlt jede Spur. Der nun öffentlich gewordene Vorschlag der Trump-Administration für einen sogenannten Friedensvertrag ist zwar auch für Moskau nicht akzeptabel, doch der Kreml äußert sich dazu bewusst zurückhaltend – wohl in dem Wissen, dass die Ukraine ihn ohnehin ablehnen wird. Der Krieg geht damit weiter – und Trumps Kritik an den russischen Angriffen auf Kiew wirkt vor diesem Hintergrund eher taktisch als moralisch begründet. Es rächt sich nun, dass die führenden westlichen Medien, die Biden-Administration und auch Brüssel Präsident Selenskij über Jahre hinweg nahezu kritiklos unterstützt haben. Er wurde mit Erwartungen überhäuft, die ihn in eine politische Sackgasse führten. Anstatt ihn frühzeitig zu einem realistischen Kurs zu bewegen, wurde seine kompromisslose Linie gestützt – mit der Folge, dass nun kaum Raum für diplomatische Flexibilität bleibt. Der Dilettantismus der EU zeigt sich seit Beginn des Krieges in einem widersprüchlichen Anspruch: Russland dürfe auf keinen Fall als Sieger aus dem Konflikt hervorgehen – jedoch, ohne dass diese Position mit einer klaren politischen, militärischen oder diplomatischen Substanz unterfüttert wäre. Solange die EU diesen Widerspruch nicht überwindet, wird sie kaum mehr als ein machtloser Kommentator des Geschehens bleiben.
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