Kurpfuscher am Werk
Von Oliver Rast
Überall sind sie im Gesundheitswesen am Werk, Kurpfuscher. Ihr Werk: eine desaströse Finanzlage. Bei der gesetzlichen Krankenversicherung (GKV), bei der sozialen Pflegeversicherung (SPV). Passiert nichts, passiert das: der finale finanzielle Kollaps. Sagen Vertreter von Kranken- und Pflegekassen. Und sie haben recht damit. Ein Beleg für den Befund: »Wir haben Rekordbeitragssätze, es gibt nur noch eine Reserve von sieben Prozent einer Monatsausgabe und in den letzten drei Monaten gab es sechs weitere Beitragssatzerhöhungen«, weiß die Chefin des GKV-Spitzenverbands.
Das Kernproblem: Zahlreiche gesamtgesellschaftliche Leistungen werden nicht aus dem Bundeshaushalt finanziert. Sondern? Nicht sondern! Quacksalbernde Regierungsmitglieder greifen mit Vorliebe in Säckel der GKV und der SPV, plündern Budgets – wie bei einem Raubzug. Wenig überraschend: Die Zeche zahlen die Beitragszahler. Nur, die Grenzen der Belastbarkeit bei den Sozialabgaben sind erreicht, für Geringverdiener längst.
Der Sozialverband VdK hat gegenüber jW eine eigene Rechnung aufgemacht. Rechnet man etwa versicherungsfremde Leistungen (zum Beispiel KV-Ausgaben für Bürgergeldempfänger, Fünf-Milliarden-Leihe vom BMG aus dem Ausgleichsfonds der SPV) kostenmäßig raus aus den Versicherungen, kämen rund 37,7 Milliarden Euro zusammen. Kein Kleckerbetrag. Denn gegengerechnet mache die Summe Beiträge zur GKV von 2,2 Beitragssatzpunkten aus. Das entspricht wiederum in etwa dem Zusatzbeitrag. Der ließe sich sprichwörtlich sparen.
Übrigens, die größten Kostentreiber im Gesundheitssektor sind: stationäre Aufenthalte und überteuerte Arzneimittel. Hier muss eine Kostenbremse her. Wie? Beispielsweise mittels Verzicht auf überflüssige chirurgische Eingriffe. 80 Prozent der Rücken-OPs gelten als medizinisch überflüssig, nicht notwendig. Bloß, wer hat soviel Rückgrat, den Klinikbossen in die Bilanzen zu pfuschen?
Ein Extraaufreger: Die GKV soll sich an der sogenannten Krankenhausreform beteiligen. Mit satten 25 Milliarden Euro. Die Privatkassen hingegen nicht. Ein Eklat. Der VdK hatte deswegen eine Klage angekündigt. Nun dürfte das »Reformwerk« aus dem fiktiven Sondervermögen bezahlt werden.
Was nun? Das mindeste: Gesamtgesellschaftliche Ausgaben sind aus Steuermitteln zu finanzieren. Fraglos. Wichtig gleichfalls: Es braucht eine einheitliche Krankenversicherung, ein Ende des Zweiklassensystems in der Gesundheitspolitik. Also, alle sollen in die Kassen einzahlen. Auch und gerade Beamte, Politiker, Selbstständige.
Und zweifellos, eine solidarische Versicherung würde die Finanzlage der Kranken- und Pflegekassen verbessern. Vielleicht wirksam. Der Effekt: stabilere Beiträge, gegebenenfalls geringere – ohne Leistungen zusammenzustreichen. Eine Entlastung für Beitragszahler.
Ein realistisches Szenario? Kaum. Denn im Untersuchungsbefund steht: Zu viele werktätige Kurpfuscher pfuschen im Gesundheitswesen.
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