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Aus: Ausgabe vom 28.04.2025, Seite 11 / Feuilleton
Ausstellung

Das Insekt kann nicht gezeichnet werden

Im Jüdischen Museum Berlin kann man mit Hilfe der Kunst Zugang zu Kafkas Werk finden
Von Sabine Lueken
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Franz Kafka: Schwarzes Notiz­buch – Zeich­nungen, ca. 1923

Er hätte einen Liveticker einrichten müssen, schrieb ­Kafka-Biograph Rainer Stach, um alle Veranstaltungen im Jubiläumsjahr 2024 mitzubekommen. Diese Welle ist nun abgeebbt. Das Jüdische Museum Berlin verspricht aber in einer Ausstellung »Access«. Sortiert nach zentralen Aspekten – Wort, Gesetz, Raum, Körper, Judentum – werden Kafkas Texte und Zeichnungen mit Gemälden, Skulpturen, Videos und Konzeptarbeiten heutiger Kunst konfrontiert. Das Motto Zugang- und Zugangsverweigerung ist laut Kuratorin Shelly Harten ein zentrales Thema in Kafkas Werk und von aktueller Relevanz.

Für Karl Roßmann, Kafkas Protagonist in »Der Verschollene (Amerika)«, ist es eine »große Verlockung«: »Wer Künstler werden will, melde sich!« Dieser Satz empfängt die Besucher bereits im Treppenhaus. »Jeder ist willkommen!« Doch dann wird Karl nur als »technischer Arbeiter« beim Naturtheater von Oklahoma eingestellt: Access Denied! Eine Installation von Martin Kippenberger (ohne Titel, 1991) – später weiterentwickelt zum Projekt »The Happy End of Franz Kafka’s America«, mit 50 Stuhlarrangements wie in Bewerbungssituationen – führt grotesk-humoristisch vor Augen, wie prekär die Künstlerexistenz ist: Ein Schleudersitz kreist in endloser Bewegung um sich selbst – auf einem kreisförmigen, bunten Holzgleis. Ferngesteuert. Aber mit Kunst lässt sich auch Widerstand ausdrücken. Die kurdische Künstlerin Fatoş İrwen schuf während ihrer dreijährigen politischen Haft in Diyarbakır Werke aus Haaren und Erde. Die Serie »The Other History: Read« (2019–2020) zeigt Nadelstiche auf Packpapier, die eine Sanduhr formen. Ein geheimer Code?

Ein häufiges Motiv in Kafkas Werk sind Fenster, Türen und Schwellen, die nicht überschritten werden können. Die Ausstellung inszeniert als Schwelle zur Gegenwartskunst Marcel Duchamps »Boîte-en-valise« (1936–1941), einen Koffer mit Miniaturausgaben seiner Werke, den der Künstler 1942 in die Emigration in die USA mitnehmen konnte. Der Zeitgenosse Kafkas hatte in seinem Pariser Atelier eine Tür mit zwei Rahmen, die – paradox – gleichzeitig offen und geschlossen sein konnte, abgebildet auf dem Einband seiner Ausstellung »Not seen and/or less seen/Rrose Sélavy« (1964). Das führt zu Kafkas Erzählung »Die Verwandlung«. Die erste Ausgabe, erschienen im Kurt-Wolff-Verlag, zeigt auf dem Deckblatt eine spaltbreit geöffnete Tür, ein Vorschlag des Autors. Er hatte seinem Verleger zuvor ein Bilderverbot auferlegt: »Das Insekt selbst kann nicht gezeichnet werden. Es kann aber nicht einmal aus der Ferne gezeigt werden.«

Kafka wählte das Schreiben, das Wort, um Zugang zu seinem Inneren zu finden. »Als es in meinem Organismus klar geworden war, dass Schreiben die ergiebigste Richtung meines Wesens sei, drängte sich alles hin (…)«, notierte er 1912. Doch auch das Zeichnen war für ihn Ausdrucksmittel. Neben Manuskripten, Briefen und Postkarten werden Selbstporträts und seine grotesk-karikaturhaften Figuren präsentiert, Leihgaben aus den Bodleian Libraries der University of Oxford, der National Library of Israel und dem Deutschen Literaturarchiv Marbach.

Eine zentrale Metapher in Kafkas Werk ist das Gesetz. Dem Mann vom Lande bleibt der Eintritt ein Leben lang verwehrt. Kafkas Aussage, es sei »etwas Quälendes, nach Gesetzen beherrscht zu werden, die man nicht kennt«, visualisiert der israelische Konzeptkünstler Roee Rosen in einem verstörenden Video (2007–2008), in dem er Bekenntnisse über sein Leben von illegalen Gastarbeiterinnen in Israel vortragen lässt, die kein Hebräisch beherrschen. Im Video »Altars Made of Sand« von Alona Rodeh zerfallen biblische Altäre aus Sand in Endlosschleife – von Meereswellen unterspült.

Kafka schuf mit Sprache klaustrophobische Räume. Auf einer der beigegebenen Infotafeln erfahren wir, dass der Grundriss der Wohnung der Familie Samsa identisch ist mit dem der Familie Kafka in Prag im Haus »Zum Schiff«, dem »modernen Mietpalast«, wo Kafka 1912 »Die Verwandlung« schrieb. Das private Umfeld ist auch Ausgangspunkt für den israelischen Videokünstler Guy Ben Ner. In »House Hold« (2001) hat er sich – in einem Kinder-Gitterbett gefangen – in eine ausweglose Lage gebracht und versucht, auf immer groteskeren Wegen freizukommen.

Kafka liebte Sport, besonders Schwimmen, war fasziniert von Artisten und den Schauspielern im Stummfilm. Er beschrieb und zeichnete Körper, die sich biegen und verformen, die schwach, unsicher, gebeugt oder gepeinigt sind, die diszipliniert oder umgestaltet werden müssen. Die Bilder von Maria Lassnig haben mit Kafka gemeinsam den Versuch, innere Körperempfindungen auszudrücken.

Kafkas Verhältnis zum Judentum war ambivalent, scheinbar festgelegte Zugehörigkeiten waren ihm suspekt. »Was habe ich mit Juden gemeinsam? Ich habe kaum etwas mit mir gemeinsam.« Wir erfahren in dem mit schwarzen Vorhängen abgeteilten, abgedunkelten Raum, dass er Hebräisch lernte und ein begeisterter Besucher des jiddischen Theaters von Jitzhak Löwy war. Den Raum beherrscht das magisch-geheimnisvolle Video »Mir Zaynen Do!« von Yael Bartana. Aber es findet sich auch ein verstörendes Gemälde in Grautönen: »Luftmensch Antiexodus« (2020) von Yuval Barel. Ein nackter, verloren wirkender Mensch sitzt dort gemeinsam mit einem Vogel. Im Hintergrund sieht man ein Gebäude, aus dessen Schornstein Rauch aufsteigt.

Für die Ausstellung sollte man Zeit mitbringen. Ob sie den Zugang zu ­Kafka erleichtert, steht dahin – aber die Kunst versteht man mit Kafka besser. Und damit auch das, was Kunst und Künstlersein ausmacht.

»Access Kafka«, Jüdisches Museum Berlin, bis 1.5.2025

Katalog: Access Kafka. Hrsg. v. Shelley Harten. Kerber-Verlag, Berlin 2024, 176 Seiten (ca. 60 Abbildungen in Farbe), 38 Euro

»Das Happy End von Access Kafka« – Ein Sonntag mit Kafka, Kippenberger und der Leseguerilla zur Abschlusswoche der Ausstellung, 27.4. 2025, 15 Uhr

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