Ohne Schicht im Schacht
Von Gudrun Giese
Arbeit an Wochenenden, im Spät- oder Nachtdienst ist anstrengend und belastet die Gesundheit. Doch viele abhängig Beschäftigte in Deutschland müssen regelmäßig oder gelegentlich arbeiten, wenn die Mehrheit frei hat. Das zeigen Ergebnisse aus dem vergangenen Mikrozensus.
Jährlich befragt das Statistische Bundesamt (Destatis) für diese repräsentative Statistik ein Prozent der Bundesbürger zu unterschiedlichen Themen. 2023 ging es unter anderem um atypische Arbeitszeiten wie Wochenend- und Schichtarbeit. Zum Tag der Arbeit am 1. Mai hat das Amt am Montag die Ergebnisse veröffentlicht. Danach arbeiten 27 Prozent der abhängig Beschäftigten regelmäßig oder gelegentlich an Wochenenden. Besonders hoch mit 70 Prozent ist der Anteil der Wochenendarbeit im Gastgewerbe. Im Sektor Kunst, Unterhaltung und Erholung sind 55 Prozent der Beschäftigten an Wochenenden im Einsatz. Samstagsarbeit kommt mit 25 Prozent am häufigsten vor, an Sonntagen arbeiten 15 und an Feiertagen sechs Prozent der Werktätigen manchmal oder regelmäßig.
Als besonders gesundheitsbelastend gilt die Arbeit in Wechselschichten. Davon betroffen sind 16 Prozent der männlichen und 13 Prozent der weiblichen Beschäftigten. Auch nachts arbeiten mehr Männer, nämlich zwölf Prozent, während sechs Prozent der Frauen diese Arbeitszeit angaben. Vor allem im Gesundheits- und Sozialwesen wird mit 28 Prozent, im Bereich Verkehr und Lagerei mit 24 Prozent sowie im Gastgewerbe mit 21 Prozent besonders häufig Schichtarbeit geleistet, meldete Destatis. Bezogen auf alle Mitgliedsländer der Europäischen Union arbeiteten 2023 nach der EU-Arbeitskräfteerhebung 18 Prozent der Werktätigen in einem Schichtsystem. Deutschland blieb mit 15 Prozent leicht unter dem Durchschnitt. Mit jeweils mehr als 30 Prozent war der Anteil an Schichtarbeit in Griechenland, Rumänien und Kroatien am höchsten, in Dänemark mit acht Prozent am niedrigsten.
Noch aufschlussreicher als diese Daten aus dem Mikrozensus sind die Ergebnisse einer Arbeitszeitbefragung unter Beschäftigten des öffentlichen Dienstes, die vor einem Jahr im Auftrag der Gewerkschaft Verdi stattgefunden hat, da sie auch qualitative Aspekte zum Thema enthält. In die Auswertung einbezogen wurden die Angaben von gut 257.600 Beschäftigten, knapp 60 Prozent davon weiblich, was dem Frauenanteil im öffentlichen Dienst entspreche, so Verdi. In der Mehrheit gaben die Befragten an, dass sie besonders durch Schichtdienste, atypische Arbeitszeitlagen wie Nacht-, Abend-, Wochenend- und Feiertagsdienst sowie Bereitschaftsdienste, Rufbereitschaft oder geteilte Dienste belastet sind. Zudem müssen nach dieser im vergangenen Mai veröffentlichten Befragung viele Beschäftigte wegen der hohen Belastung und des Personalmangels Mehrarbeit leisten. Dabei gelinge es nicht immer, diese später durch Freizeit auszugleichen, gaben 47 Prozent der Umfrageteilnehmer an. Durch den Verzicht auf Pausen versuchen 42 Prozent sehr häufig oder oft ihr Arbeitspensum zu schaffen.
Die Daten insgesamt gäben Hinweise »auf bereits bestehende gesundheitliche Risiken und Gefährdungen und zeigen einen hohen Bedarf nach Kompensation und Entlastung«, folgerte Verdi. So hätten 56 Prozent der Befragten angegeben, sie könnten vermutlich unter den gegebenen Bedingungen nicht schädigungsfrei bis zum Rentenalter arbeiten. »Verbesserung der Arbeitsbedingungen und Prävention sind dringende Herausforderungen, um eine (weitere) Reduzierung des Arbeitskräftereservoirs durch Krankheit und Erwerbsunfähigkeit zu vermeiden«, forderte die Gewerkschaft. Doch schon bei der bisherigen Bundesregierung verhallten solche alarmierenden Hinweise. Und die zu erwartende künftige Koalition aus CDU/CSU und SPD hat ohnehin klare Signale in eine andere Richtung ausgesendet: Der bisher gesetzlich fixierte Achtstundenarbeitstag soll zugunsten einer Wochenhöchstarbeitszeit abgeschafft werden, wodurch Beschäftigte noch stärker atypischen Arbeitszeiten ausgesetzt sein können. Auch die geplante Weiterarbeit für Rentner, die durch finanzielle Anreize aufgehübscht wird, dürfte in den Ohren von Krankenschwestern und Müllwerkern zynisch klingen; sind sie doch mit Ende 50 oft körperlich beeinträchtigt und könnten eher eine Frührente benötigen als längeres Arbeiten.
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