»Die Herrschaft des Kapitals wird autoritärer«
Interview: Katharina Schoenes
Seit mehr als zehn Jahren organisiert »Hände weg vom Wedding« am Vorabend des 1. Mai eine antikapitalistische Demonstration in dem Berliner Ortsteil. In früheren Jahren hatte sie einen mietenpolitischen Schwerpunkt. Warum führt die Route dieses Jahr an den Werkstoren des Pierburg-Konzerns vorbei?
Es wird dieses Jahr einen starken antimilitaristischen Schwerpunkt geben, weil die politischen Rahmenbedingungen auf Krieg stehen – besonders seit der im März beschlossenen Grundgesetzänderung und den gigantischen Aufrüstungsplänen von BRD und EU. Diese Entwicklung zeigt sich auch im Wedding: Der Pierburg-Konzern, der sich seit vielen Jahren in unserer direkten Nachbarschaft befindet, war ursprünglich ein Automobilzulieferer. Er wurde vor längerer Zeit von Rheinmetall, dem größten deutschen Rüstungskonzern, aufgekauft, hat aber bislang weiter in der zivilen Sparte produziert. Kürzlich gab Rheinmetall bekannt, dass der Standort auf die Produktion von Waffenkomponenten umgestellt werden soll. Dagegen wollen wir ein Zeichen setzen. Davon abgesehen ist Mietenkampf weiter ein wichtiges Thema auf der Demonstration. Eine unserer Forderungen ist, dass der Volksentscheid zur Enteignung großer Immobilienkonzerne endlich umgesetzt wird.
Im Aufruf geht es auch um die Kürzungspolitik des Berliner Senats. Wie wirkt sich diese auf das Leben der Menschen im Wedding aus?
Der Sozialkahlschlag trifft zuallererst die Grundversorgung derer, die kein prall gefülltes Portemonnaie haben. Allen sozialen Trägern wurden Mittel gekürzt. Bei den Schuldnerberatungen müssen die Menschen wochenlang auf einen Termin warten. Als »Hände weg vom Wedding« haben wir einen »Solidaritätstreff Soziale Arbeit« gegründet. Dort wurde uns berichtet, dass zahlreiche soziale und kulturelle Angebote aufgrund von Personalkürzungen kaum noch umsetzbar sind. In Schulen fällt der Unterricht aus, weil Lehrkräfte fehlen. Wer bei mietenrechtlichen, psychischen oder familiären Krisen Hilfe braucht, bekommt zur Antwort: »In vier Wochen rufen wir zurück.«
Wie hängen Hochrüstung einerseits und Kürzungen im Sozialen andererseits zusammen?
Die Hochrüstung soll vor allem durch Schulden finanziert werden. Grundlage ist die im März beschlossene Grundgesetzänderung, mit der die Schuldenbremse ausschließlich für den militärischen Sektor ausgesetzt wurde. Für alle anderen Bereiche gilt sie weiterhin. Die Rückzahlung der Schulden und die anfallenden Zinsen müssen wiederum aus dem regulären Haushalt finanziert werden. Irgendwo wird das Geld fehlen. Sehr wahrscheinlich dort, wo es den Reichen und Mächtigen am wenigsten wehtut, also bei armen Menschen. Die ohnehin knappen Unterstützungsangebote, die es bisher gab, spüren schon jetzt den Rotstift. In all dem drückt sich zugleich eine Transformation des bürgerlichen Staates hin zu einer autoritäreren Herrschaft des Kapitals aus. Kapitalinteressen werden zunehmend mit offener Gewalt durchgesetzt, während der Sozialstaat als »softeres Mittel« zur Befriedung der Massen zurückgebaut wird.
Die Repression gegen linke Bewegungen hat stark zugenommen, das Versammlungsrecht wird immer wieder eingeschränkt. Rechnen Sie mit Schikanen von seiten der Polizei?
Wir können das zumindest nicht ausschließen – gerade weil wir uns stark in der Palästina-Solidarität engagieren, die besonders im Fokus der Repression steht. Der Genozid in Gaza wird – wie schon letztes Jahr – Thema auf unserer Demonstration sein. Die Erfahrung zeigt, dass die Polizei häufig wenig vorhersehbare, konstruierte Vorwürfe als Vorwand nimmt, um Demonstrationen anzugreifen. Wir lassen uns davon nicht einschüchtern. Von uns wird keine Eskalation ausgehen, aber wir werden unseren Protest gegen den Massenmord in Gaza und die deutsche Kriegsindustrie entschlossen auf die Straße tragen.
Ruth Sperber ist Sprecherin des antikapitalistischen Bündnisses »Hände weg vom Wedding«
Demo: Mi., 30.4., ab 17 Uhr, Elise-und-Otto-Hampel-Platz, 13353 Berlin
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