Großmütter auf NATO-Linie
Von Susann Witt-Stahl
Kaum ein Neonaziaufmarsch findet noch ohne den Protest der resoluten Seniorinnen statt. »Omas gegen rechts« (OGR) fordern ein AfD-Verbot und engagieren sich gegen Fremdenfeindlichkeit. Wie selten Antifaschisten zuvor in der BRD werden OGR von einer Medienwelle der Sympathie getragen, auch Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier ist entzückt.
Kein Wunder, denn der »graue Block«, wie Zeit online titelte, bildet längst einen soliden Baustein der »Brandmauer«, die gegen die Friedensbewegung hochgezogen wird. Das wurde am diesjährigen Ostermarschwochenende deutlich. In der Hauptstadt trommelten OGR/Deutschland-Bündnis, gemeinsam mit der DFG-VK Berlin-Brandenburg sowie »antideutschen« Gruppen, gegen »faule Eier« im »Osternest«: Kommunisten, Sozialisten, Anarchisten, sogar die VVN-BdA wurden im Bunde mit der NPD und Jürgen Elsässers rechtem Compact-Magazin ausgemacht – wie einer Montage zu entnehmen ist, mit der sie in den sozialen Medien gegen die Friedensmarschierer mobilisierten. Solche mit Totalitarismustheorie à la Bundeszentrale für politische Bildung aufgeladene Agitation zog die passenden Unterstützer an: Neben mit Israel-Fahnen behängten »Omas« versammelten sich ukrainische Nationalisten zur Gegendemo – darunter Anhänger des neonazistischen »Asow«-Korps.
Mit aufgerufen hatte auch der Verein Vitsche, Kooperationspartner der CDU-nahen Konrad-Adenauer-Stiftung sowie der Marketingagentur der Selenskij-Regierung »United 24«, auf deren Medienplattform sich offen faschistische Kriegspropaganda findet. OGR posteten auf ihrem X-Kanal auch eine wüste Pöbelei der ehemaligen Grünen-Politikerin Jutta Ditfurth gegen den Ostermarsch, der aus »antisemitischen Hamas- und putinfreundlichen Arschlöchern« bestanden habe, wie die Buchautorin behauptet – in Wirklichkeit hatten dort Vertreter des Bundesausschusses Friedensratschlag, der GEW München, der zivilgesellschaftlichen Palästina-Solidarität etc. den »Stopp aller Kriege« gefordert.
Dass OGR-Gruppen nach der Devise »Nie wieder Faschismus gegen NATO-gestützte deutsche Interessen« agieren und sich gegen das Friedenslager stellen, ist nicht neu: 2023 marschierten OGR Leipzig mit ukrainischen Rechten, darunter die Bandera-Lobby, für Waffenlieferungen. Immer wieder werden migrantische Linke von OGR-Aktivistinnen als »Antisemiten« beschimpft, wenn sie gegen israelische Kriegsverbrechen und das Massensterben in Palästina demonstrieren. »Es gibt weder Genozid noch ethnische Säuberung in Gaza«, meinen OGR Köln. »Es gibt nicht mal Hunger.«
Demenz? Keineswegs. Für viele OGR fing das Leben für die deutsche Staatsräson – kriegstüchtige Westbindung und »Israel-Solidarität« – nicht erst »mit 66 Jahren« an. Die 2017 von einer evangelischen Theologin in Österreich gegründete Initiative wurde in der BRD ab Januar 2018 von der ehemaligen CDU-Politikerin Anna Ohnweiler aufgebaut, die vor einigen Jahren in die SPD übergetreten ist. Mittlerweile zählen OGR, seit 2019 ein Verein ohne Gemeinnützigkeitsstatus, bundesweit an die hundert Regionalgruppen mit geschätzt 35.000 Aktivistinnen. Viele von ihnen kommen aus dem Milieu der Grünen; die Partei ist, wie auch die Klimaschutzinitiative von »Fridays for Future«, ein Bündnispartner von OGR für Kundgebungen und Veranstaltungen.
»Für Demokratie, Toleranz und Vielfalt«: Nicht nur klingen die Slogans der OGR nach staatlich betreutem Antifaschismus – dieser bildet auch eine Grundlage ihrer Arbeit. Seit dem »Zeitenwende«-Jahr 2022 erhalten OGR von der Ampelregierung Gelder für Aktivitäten im Rahmen des Bundesprogramms »Demokratie leben!« Die vorwiegend steuergeldfinanzierte und proisraelische Amadeu-Antonio-Stiftung hat bereits Projekte der OGR gefördert, unter anderem deren ersten Bundeskongress 2024 in Erfurt, und wirbt regelmäßig für die »rot-grünen« Großmütter Courage.
Es gibt aber auch kleine, in der 68er-Bewegung verwurzelte OGR-Strömungen. »Für viele von uns Omas waren die Grausamkeiten des Vietnamkrieges ein Augen- und Türöffner«, berichtete eine Aktivistin, die mit einer Gruppe Gleichgesinnter auf dem Berliner Alexanderplatz eine Kundgebung abgehalten und Friedenslieder vorgetragen hat. Die linkspazifistischen »Omas« kritisierten auch vor einigen Tagen die Kumpanei der kriegstüchtigen OGR mit »Asow«-Fans.
Aber jene Frauen haben einen zunehmend schweren Stand. Vergangenes Jahr distanzierten sich OGR Berlin/Deutschland-Bündnis sogar öffentlich von einer Mitstreiterin, die den Aufruf zur Friedensdemo am 3. Oktober eines breiten Bündnisses mit Beteiligung von Sozialdemokraten für den »Berliner Appell« gegen die Stationierung neuer US-Mittelstreckenwaffen unterschrieben hatte. Wiederholt wurden Mitglieder ermahnt, dass Friedensarbeit bei OGR fehl am Platz und als »Privatsache« zu behandeln sei.
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Leserbrief von Dr. Klaus Mucha aus Berlin (29. April 2025 um 23:52 Uhr)Mag sein, dass es solche Omas gibt. Aber (!) meine Erfahrung in Berlin-Reickendorf sind so, dass dort OGR bei Aktionen gegen die AfD z. B. aktiv sind. Bei Demos der Berliner Friedenskoordination sind mir OGR nicht spalterisch aufgefallen, sondern solidarisch. Beim Ostermarsch 2025 in Frankfurt/Oder ebenfalls.
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