Aufstrebend und ambivalent
Von Ina SembdnerDas Ziel ist klar: ökonomisch und politisch ein Gegengewicht zu der westlich dominierten Welt(un)ordnung aufbauen. Die Rasanz, mit der die Entwicklung des entsprechenden und derzeit wohl erfolgreichsten Instruments – der BRICS-Gruppe – voranschreitet, hat sich der kollektive Westen selbst zuzuschreiben. Anfang des Jahres erfolgte nach der Aufnahme Südafrikas 2010 mit Ägypten, Äthiopien, Iran und den Vereinigten Arabischen Emiraten die zweite Erweiterungsrunde, so dass das Bündnis nun knapp die Hälfte der Weltbevölkerung repräsentiert. Laut dem diesjährigen Gastgeber Wladimir Putin, der dieser Tage zum 16. BRICS-Gipfel nach Kasan geladen hat, haben 30 weitere Staaten ihr Interesse bekundet.
Einspannen in die (Wirtschafts- und Sanktions-)Kriege des Imperiums lässt sich niemand mehr so einfach. Auch wenn die außenpolitischen Verbindungen einiger Mitglieder nicht selten an die USA gekoppelt sind, liegt eine Stärkung der Souveränität »volkswirtschaftlich aufstrebender Länder« ebenso in ihrem Interesse. Apropos Interesse: Von liberal-demokratischer Seite wird argumentiert, es handele sich ja nicht um einen homogenen Block, und die einzelnen Länder hätten ihre ganz eigenen Interessen – was nicht falsch ist, aber so ziemlich auf jede Staatenallianz zutreffen dürfte. Es entspricht einer immer noch inhärenten kolonialen Logik, dieses Maß an ein Bündnis aus dem globalen Süden anzulegen. Dass für die jeweiligen Gesellschaften produktive Entwicklungen im Vordergrund stehen, ist für die Herrschenden offenbar nicht vorstellbar.
So konstatiert Jörg Kronauer für die Europäische Union, der Staatenbund habe es schlicht verschlafen, sich ernsthaft mit den BRICS zu befassen. Darüber hinaus sei »Brüssels Dilemma«, dass es einerseits Länder in der europäischen Peripherie im Rahmen der sogenannten Nachbarschaftspolitik an sich zu binden sucht, diese (Türkei, Aserbaidschan) sich aber durchaus interessiert an den BRICS zeigen. Und will man die immer deutlicher werdende Opposition gegen den Westen brechen, dann lohnt es, wenn man zentrale Staaten des Südens auf seine Seite zieht. Auf der anderen Seite bietet das Bündnis Staaten wie Venezuela die Möglichkeit, vom Westen auferlegte Strafmaßnahmen abzufedern oder zu umgehen. Die Regierung des südamerikanischen Landes hat ebenfalls Interesse an einem Beitritt bekundet und sieht darin ein mögliches »Win-Win für Caracas«, wie Julieta Daza schreibt.
Unterschiedliches Tempo legen die BRICS-Staaten in Sachen Klimaschutz an den Tag. Richtig ist, dass die Hälfte der globalen CO2-Emissionen auf die »aufstrebenden« Länder entfällt, richtig ist aber auch, dass etwa Äthiopien und China vorpreschen und dabei sind, ambitionierte Ziele umzusetzen. Ob das »Bündnis verpflichtet«, ist allerdings eine offene Frage, der Wolfgang Pomrehn in seinem Text nachgeht. Eine enge Beziehung zur Volksrepublik pflegt Duisburg, das schon in den 1980er Jahren eine Partnerschaft mit Wuhan schloss. Heute gilt die Ruhrstadt als vorläufiger Endpunkt der »Belt-and-Road-Initiative« – ist allerdings »Nicht der Drachenkopf«, wie Uwe Behrens konstatiert, denn bundespolitisch wird das chinesische Infrastrukturprojekt lieber als Teufel an die Wand gemalt. Indien wiederum kann – so schreibt es Jörg Tiedjen – als »Das Trojanische Pferd« für den Westen im Bündnis gesehen werden. Die faschistische Regierung in Neu-Delhi beweist: Ein fortschrittlicher Staatenbund ist nicht unbedingt ein Bündnis fortschrittlicher Staaten.
Lucas Zeise beleuchtet die monetäre Seite der Allianz und beschreibt die Fallstricke, die sich ergeben, wenn der »Kampf dem US-Dollar« gilt. Eine gemeinsame Währung steht dabei nicht im Vordergrund, vielmehr soll das von westlichen Institutionen dominierte Finanz- und Währungssystem reformiert werden. Nicht reformierbar ist die anachronistische unipolare Weltordnung. Doch obwohl seine Hegemonie an zahlreichen Stellen kollabiert, will der Westblock sie keinesfalls aufgeben, dessen »Gefährlicher Machtverlust« laut Wolfram Elsner eine Bedrohung nicht allein für seine Gegner ist.
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