Dein roter Faden in wirren Zeiten
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Aus: Auschwitz, Beilage der jW vom 25.01.2025
Auschwitz

Gefährdende Kinder

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Am Donnerstag meldet dpa: »Gut jeder zehnte junge Erwachsene in Deutschland hat einer Umfrage zufolge noch nie etwas von den Begriffen Holocaust oder Schoah gehört. In Deutschland sagten dies auf eine entsprechende Frage zwölf Prozent der befragten 18- bis 29jährigen.« Außerdem wissen 40 Prozent der Absolventen des hiesigen Bildungssystems nicht, dass bis zu sechs Millionen Juden ermordet wurden, sondern nennen niedrigere Zahlen. Die Umfrage hatte im November 2023 im Auftrag der Jewish Claims Conference mit jeweils 1.000 Befragten in Deutschland, Frankreich, Österreich, Großbritannien, Polen, Ungarn, Rumänien und den USA stattgefunden. In den USA gaben immerhin nur drei Prozent der Befragten an, noch nie vom Völkermord an den europäischen Juden gehört zu haben.

Wenige Stunden nach der dpa-Veröffentlichung sprach Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) am Donnerstag auf der Gedenkfeier des Internationalen Auschwitz-Komitees in Berlin. Er verkündete: »Gerade heute dürfen und werden wir nicht zulassen, dass die Verbrechen des nationalsozialistischen Deutschlands langsam weggleiten oder weggeschoben werden – in das Ungefähre längst vergangener Zeiten.« – »Wir« würden »keine Relativierung« hinnehmen und jede neue Generation »an ihre bleibende Verantwortung erinnern«. Das sei »die bleibende Herausforderung in unseren Schulen und Universitäten, in der Ausbildung, in Integrationskursen und im tagtäglichen Leben«. Das ist offenkundig gelogen und von keiner Gemütsbewegung angekränkelt. Laut FAZ vom Freitag sagte der Präsident der Claims Conference Deutschland Rüdiger Mahlo dagegen: »Die Ergebnisse dieser Studie sind für die Überlebenden der Schoah ein Schock.«

Für die Welt-Gastautoren Anne König und Gregor Thüsing nicht. Die CDU-Bundestagsabgeordnete aus dem Münsterland und der Bonner Rechtswissenschaftler, ein Mitglied des Deutschen Ethikrates, nutzen das Gedenken an die Befreiung von Auschwitz für Wahlkampf. Das ist in einem Land, das laut einer ebenfalls am Donnerstag veröffentlichten AFP-Meldung an mehr als 7.600 Naziverbrecher noch im Dezember 2023 »Kriegsopferrenten« zahlte, nicht weiter überraschend. Vor solchem Hintergrund lässt die Überschrift des Gastbeitrags wenig hoffen: »Nicht nur erinnern, sondern Antisemitismus entschlossen bekämpfen.« Der Text zweier rechter Fanatiker, die mit der Ernennung Hitlers zum Kommunisten durch Alice Weidel noch nicht mithalten können, aber mit der die westdeutsche Bildungskarriere gemeinsam haben. Also gerät zum Beispiel bei ihnen Annalena Baerbock unter Antisemitismusverdacht, weil sie irgendwie bei Waffen für Israel zögerlich gewesen sein soll. Das greift um sich, daher fordern König und Thüsing mehr Härte: »Strafbarkeit für das Leugnen des Existenzrechts Israels und für den Aufruf zur Beseitigung des Staates Israel.« Im Wunschkatalog der beiden findet sich zudem: Härteres Durchgreifen von Schulleitungen, die auf »alle gefährdenden Kinder« einwirken sollen, »damit sie ihren anerzogenen Hass loswerden können«. Ihren deutschnational ausgebrüteten Hass wollen König und Thüsing auch in Hochschulen tragen: Wer nach ihren Kriterien Antisemit ist, fliegt.

Es gehe darum, »dass eine Gesellschaft ihre Wurzeln und damit ihre historische Verantwortung nicht vergessen darf«. Daher: Staatspensionen für die letzten Naziverbrecher, Jugendliche, die zu einem beachtlichen Teil weder Lesen noch Schreiben oder Rechnen lernen und, wie nun erwiesen, auch nichts über IG-Farben-Sponsoring für Hitler und die Produktionsstätte in Auschwitz erfahren. An der Spitze der Analphabetisierungsbewegung stehen Hasspädagogen wie König oder Thüsing – auf der Jagd nach »gefährdenden Kindern«.

Staatspensionen für die letzten Naziverbrecher, Jugendliche, die zu einem beachtlichen Teil weder Lesen noch Schreiben oder Rechnen lernen und, wie nun erwiesen, auch nichts über IG-Farben-Sponsoring für Hitler und die Produktionsstätte in Auschwitz erfahren.

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