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Aus: Feminismus, Beilage der jW vom 08.03.2025
Feminismus

Mit der Waffe in der Hand

Der Widerstand palästinensischer Frauen gegen Israels Besatzung geht einher mit dem Befreiungskampf im Patriarchat
Von Jakob Reimann
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Stolze Guerrillera: Kommandantin Erika mit ihren auf dem Feldbett ausgebreiteten Habseligkeiten

Die Palästinenserin Schadia Abu Ghasala war als Mitglied der kommunistischen PFLP eine der ersten Frauen, die Ende der 1960er den bewaffneten Kampf gegen die israelische Besatzung aufnahmen. Die Revolutionärin diente Generationen als Vorbild und war zugleich ein Symbol des Widerstands gegen koloniale Unterdrückung und patriarchale Strukturen. Nach der Besetzung des Westjordanlands 1967 wollte sich Abu Ghasala nicht länger mit einer unterstützenden Rolle im Hintergrund zufriedengeben und griff bereits mit 19 Jahren zu den Waffen. Während Schadia Abu Ghasala für ältere Generationen noch als Symbol des Widerstands bekannt ist, ist die Erinnerung an die Kämpferin bei jüngeren Palästinensern nahezu verblasst.

1949 in Nablus in eine gebildete, politische Familie geboren, schloss sich Abu Ghasala zu Schulzeiten dem panarabischen, sozialistischen Arab Nationalist Movement (ANM) an. Später studierte sie in Kairo und – nach der Besetzung des Westjordanlands – an der An-Nadschah-Universität in ihrer Geburtsstadt. Kurz nach der Gründung der Volksfront zur Befreiung Palästinas (PFLP) im Zuge des Sechstagekriegs 1967 trat Abu Ghasala in Nablus der von ehemaligen ANM-Mitgliedern ins Leben gerufenen Organisation bei. Schnell stieg sie innerhalb der kommunistischen Organisation auf und beteiligte sich als eine der ersten Palästinenserinnen aktiv am militärischen Widerstand.

Wegbereiterinnen

Abu Ghasala war überzeugt von der Bedeutung politischer Bildung, sowohl für eine gesellschaftliche Emanzipation als auch für den nationalen Befreiungskampf. Sie kämpfte nicht nur selbst aktiv gegen die Besatzung, sondern organisierte den Widerstand, indem sie andere Frauen militärisch ausbildete und auf deren gleichberechtigter Teilnahme an der Befreiungsbewegung bestand. Besonders wichtig war ihr das Zusammenspiel von politischem Bewusstsein und militärisch-operativem Wissen. Durch ihre aktive Teilnahme am bewaffneten Kampf stellte sie traditionelle Geschlechterrollen innerhalb der palästinensischen Gesellschaft in Frage und trug dazu bei, diese neu zu definieren.

Bereits während des großen Aufstands gegen die britische Kolonialherrschaft 1936 bis 1939 spielten Frauen eine bedeutende Rolle – jedoch nicht an der Waffe. Statt dessen organisierten und unterstützten sie die Rebellion im Hintergrund: Frauen, wie die feministische Aktivistin Tarab Abdul Hadi schmuggelten Waffen, übermittelten Nachrichten und sammelten Spenden. Ab den späten 1960er Jahren wurden Palästinenserinnen innerhalb militanter Gruppen zunehmend sichtbarer. Sie beteiligten sich an der Planung von Operationen, der Herstellung von Sprengsätzen und immer häufiger auch an direkten Kampfhandlungen. Die damals 18jährige Dalal Mughrabi, Parteimitglied der »Bewegung zur nationalen Befreiung Palästinas« (Fatah), war eine zentrale Figur des sogenannten Küstenstraßenanschlags 1978 und wird heute von vielen Palästinensern als Märtyrerin für den Widerstand verehrt. Bei der ursprünglich anders geplanten Operation, die mit einer Busentführung nahe Tel Aviv endete, wurden 38 Zivilisten getötet. Dieser Vorfall gilt – nach dem Angriff vom 7. Oktober 2023 – als zweittödlichster Anschlag in der Geschichte Israels.

Während der Ersten Intifada (1987–1993) organisierten palästinensische Frauen Proteste und bauten Untergrundnetzwerke auf. In der Zweiten Intifada (2000–2005) wurden sie zudem gezielt als Attentäterinnen für Selbsttötungsanschläge rekrutiert, da sie Sicherheitskontrollen oft leichter umgehen konnten als Männer.

Untrennbar verbunden

Wie in vielen Befreiungsbewegungen verlaufen auch in Palästina neben dem Kampf um nationale Befreiung zahlreiche soziale und gesellschaftliche Auseinandersetzungen parallel. Mögen Frauenkämpfe – wohl auch aufgrund der historisch oft säkularen oder linksgerichteten Natur des Widerstands – in Palästina größere Erfolge erzielt haben als in anderen Gesellschaften im Großraum Nahost, so steht auch hier dem Befreiungskampf der Frauen noch ein langer Weg bevor, um tief verwurzelte patriarchale Strukturen zu überwinden und Gleichberechtigung in allen gesellschaftlichen Bereichen zu erzielen. Palästinenserinnen bleiben auch weiterhin oft sozial und politisch marginalisiert.

Ihre zentrale Bedeutung im palästinensischen Widerstand wird zwar immer wieder betont, doch oft unter der Prämisse geschlechtsspezifischer Rollenzuschreibungen. So kritisierte Ahmad Jassin, Gründer der Hamas, den Anschlag von Wafa Idris, die am 27. Januar 2002 nach 46 Männern als erste Frau während der Zweiten Intifada ein Selbsttötungsattentat verübte. Er forderte, dass Frauen »die zweite Verteidigungslinie im Widerstand gegen die Besatzung« bilden und ihre Rolle auf die Reproduktion der Nation, die Trauer um gefallene männliche Verwandte und die Führung des Haushalts beschränkt bleiben solle. Es dauerte mit drei Tagen auch ungewöhnlich lange, bis auf Plakaten in Ramallah »stolz die erste Märtyreroperation einer Heldin im zionistischen Gebiet« gefeiert wurde.

Doch palästinensische Frauen »widersetzten sich beharrlich dieser normativen Rolle, die sie auf ihre unterstützende Beziehung zu einem Mann beschränkte«, schreibt die in Gaza geborene feministische Gelehrte Schahd Abusalama in einem 2016 veröffentlichten Aufsatz im libanesischen Kohl Journal. Abusalama betont, dass sich »palästinensische Frauen stets in den alltäglichen Widerstand eingebracht« haben – sowohl gegen die »israelische Unterdrückung als auch gegen die innerhalb der nationalen Befreiungsbewegung tief verwurzelten patriarchalen Strukturen«. Diese beiden Kämpfe seien untrennbar miteinander verbunden: »Ich bin davon überzeugt, dass nationale Befreiung niemals innerhalb einer patriarchalen Struktur erreicht werden kann«, schreibt sie, »und dass die Emanzipation der Frauen mit dem Prozess der Befreiung und des Widerstands einhergehen muss – nicht erst danach.«

In den 1990er Jahren und spätestens mit der Zweiten Intifada löste die Hamas die säkulare Palästinensische Befreiungsorganisation (PLO) als dominierende Kraft im bewaffneten Widerstand ab, was mit einer zunehmenden Islamisierung der Aufständischen einherging. Viele militante Gruppen übernahmen in dieser Zeit ein Märtyrerkonzept aus der Frühzeit des Islam, das stark auf männliches Heldentum und eine toxisch idealisierte Form von Männlichkeit zugeschnitten war. In den Jahrzehnten zuvor hatten Frauen noch – wenn auch in untergeordneter, so doch bedeutender Rolle – aktiv am bewaffneten Widerstand teilgenommen.

In Ehren gehalten

Ende 2013 wurde zu Ehren von Abu Ghasala eine neue Mädchenschule der Palästinensischen Nationalbehörde im Gebiet Al-Falludscha, westlich vom Geflüchtetenlager Dschabalija im nördlichen Gazastreifen gelegen, nach der Kämpferin benannt. Die Schule »sorgt dafür, dass das Erbe des Terrors ungebrochen fortgesetzt wird«, behauptete damals das rechte israelische Nachrichtenportal Arutz Sheva, während Mädchen, die vom palästinensischen Regierungssender PA TV interviewt wurden, Abu Ghasala als großes Vorbild beschrieben.

Den Terror trugen dann jedoch andere in die Schadia-Abu-Ghasala-Schule, als die israelische Armee dort am 13. Dezember 2023 ein Massaker verübte. »Mindestens 15 von Kugeln zerfetzte und verweste Leichen« wurden dort entdeckt, meldete New Arab, darunter Frauen und Kinder. Die Schule hatte als Zufluchtsort gedient und war zuvor mehrere Tage von der israelischen Armee umzingelt. Zeugen berichteten, dass die Opfer aus nächster Nähe von Soldaten hingerichtet wurden. Zunächst verschleppten die Truppen alle Männer, erinnerte sich eine Zeugin gegenüber Al-Dschasira, dann stürmten sie »in die Klassenzimmer und eröffneten das Feuer auf eine Frau und alle Kinder – selbst auf die Neugeborenen«.

Die militante Revolutionärin und Namensgeberin starb am 28. November 1968 im Alter von 19 Jahren, als eine Bombe in ihrem Zuhause versehentlich explodierte. Ihr Tod machte sie zur ersten »Märtyrerin« der PFLP. In einer bereits geplanten Operation sollte mit der Bombe ein Haus in Tel Aviv in die Luft gejagt werden. Ihr Tod »war ein Schlüsselereignis«, erzählte die PFLP-Kämpferin Leila Khaled 2007 in einem Interview. Khaled, die 1969 als erste Frau weltweit ein Flugzeug entführte, gab sich später zu Ehren ihres Vorbilds den Kampfnamen »Schadia Abu ­Ghasala«.

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