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21.02.2025, 19:30:06 / jW stärken!
Pressefreiheit

Polizei in jW-Maigalerie

Worum es bei den Angriffen von Staatsmacht und israelischem Militärsprecher gegen junge Welt und andere wirklich geht
Von Verlag, Redaktion und Genossenschaft junge Welt
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Francesca Albanese am Dienstag, 18. Februar, in der jW-Maigalerie

Letzten Dienstag hatte die junge Welt den Organisatoren der Veranstaltung »Reclaiming the Discourse: Palestine, Justice and the Power of Truth« spontan Räumlichkeiten zur Verfügung gestellt, damit die Veranstaltung doch noch stattfinden konnte: Nach harten behördlichen Auflagen und massiver Einflussnahme war der Vermieter des ursprünglichen Veranstaltungsortes eingeknickt. Das völlig überdimensionierte Polizeiaufgebot musste deshalb zur jungen Welt in die Berliner Torstraße umgeleitet werden: über 200 gepanzerte und bewaffnete Polizeibeamte und deren Einsatzfahrzeuge wurden rund um das Verlagsgebäude postiert. Der Einsatzleiter wollte zudem sieben bewaffnete Uniformierte direkt in der sowieso schon überfüllten jW-Maigalerie postieren, was ihm umgehend von der Geschäftsführung der jungen Welt untersagt wurde. Daraufhin erklärte er die geplante Veranstaltung zu einer »Versammlung in geschlossenen Räumen« und erzwang sich den Zutritt zur jW-Maigalerie. Begründung: Man rechne mit »Äußerungsstraftaten«, ausdrücklich auch im Publikum.

Die Polizisten hatten aber nicht nur das Publikum zu bespitzeln. Auf der Bühne wollten hochkarätige Referentinnen und Referenten ihre Meinung frei äußern, so die Sonderberichterstatterin der Vereinten Nationen für die besetzten palästinensischen Gebiete, Francesca Albanese und die Generalsekretärin der deutschen Sektion von Amnesty International, Julia Duchrow. Die Droh- und Einschüchterungskulisse umfasste dann uniformierte und mit Schusswaffen ausgerüstete Beamte im Raum und rund um das Gebäude der jW.

»Druck, Einschüchterung und Mafia-Taktik«, so beschrieb Francesca Albanese die Umstände ihres Besuches, und erklärte sich erschüttert über den Angriff auf die Grundrechte in der BRD. Die Versuche, die Veranstaltung zu verhindern, die Einschüchterung und somit der Angriff auf die Meinungs- und Versammlungsfreiheit sind nicht neu – erstmalig haben sich aber Polizisten in den Räumen einer Tageszeitung so verhalten. Damit ist auch eine neue Qualität der Behinderung der Pressefreiheit erreicht, auch wenn die junge Welt den Kampf gegen staatliche Repression bereits seit Jahren führen muss. Die Nennung der Zeitung im Verfassungsschutzbericht mit dem Ziel, ihr den »Nährboden zu entziehen«, und die seit 2021 anhaltenden juristischen Auseinandersetzungen dazu sind nur zwei Beispiele. Gegen das gewaltsame Eindringen von bewaffneten Polizeibeamten und deren Verweilen bis über das Ende der Veranstaltung hinaus in Räumen der Tageszeitung junge Welt wird Klage beim Berliner Verwaltungsgericht eingereicht.

An den Vorgängen des vergangenen Dienstags gibt es großes mediales Interesse im In- und Ausland. Die junge Welt erfährt vielfältige Unterstützung der Leser und anderer Beteiligter. Und doch: Der entscheidende Faktor, um die aufklärerische Arbeit der jungen Welt weiterführen zu können, sind Abonnements! Das erkennen in diesen Tagen erfreulicherweise immer mehr Menschen, schon manche Besucher der Veranstaltung schlossen noch am Dienstag vor Ort ihr Abo ab.

»Könnte ein breites, süditalienisches Lächeln helfen?«, war das Angebot von Francesca Albanese, die sich im Pausenraum der Redaktion auf ihren Vortrag vorbereitete, um sich herum das Chaos einer Ad-hoc-Veranstaltung mit gerade einmal drei Stunden Vorlauf. Und: es half. Dank an alle, für die es selbstverständlich war, anzupacken und mitzuhelfen, den Veranstaltungstechnikern, die kurzfristig einsprangen und die Übertragungstechnik installierten, den Kolleginnen und Kollegen der jungen Welt, die Überstunden schrubbten – und allen Besuchern der Veranstaltung, die sich nicht provozieren, aber auch nicht einschüchtern ließen!

Nur zwei Tage danach gab es am Donnerstag schon den nächsten Angriff auf Pressefreiheit und junge Welt. Der Sprecher des israelischen Militärs, Arye Shalicar, veröffentlichte auf X seine Liste »Die Top-10 Verbreiter von Judenhass auf X in Deutschland«. Ganz oben stehen der Blogger Tilo Jung (der an der Veranstaltung am Dienstag teilgenommen hatte) und der jW-Journalist Jakob Reimann. Shalicar begründet sein unverschämtes Anprangern damit, dass die Genannten fast täglich Israel »kritisieren«, aber bisher nicht ein einziges Foto der toten Geiseln gepostet hätten, die in dieser Woche an Israel übergeben wurden. Womit auch klargestellt wird, worum es Polizei und Militärsprecher in Wirklichkeit geht: Nicht genehme Meinungen, Presseveröffentlichungen, Veranstaltungen sollen sanktioniert und damit letztlich ausgeschaltet werden. Die junge Welt kämpft aber weiter für Meinungsfreiheit und -vielfalt. Gedruckt, digital und, wie etwa am vergangenen Dienstag, auch vor Ort.

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  • Leserbrief von Onlineabonnent/in Andreas E. aus Schönefeld (22. Februar 2025 um 14:36 Uhr)
    So schwer es fällt, das zuzugeben – aber J.D. Vance als Vizepräsident der Trump-Administration hat recht: Er prangerte auf der Münchner Sicherheitskonferenz die schwindende Meinungsfreiheit in Europa, vor allem in Deutschland an. Nach den zuerst sehr betroffenen Gesichtern der politischen »Elite« Deutschlands ging das Geschrei los. Mir fällt nur eins ein: Getroffene Hunde bellen. Und ich bin meiner Zeitung unendlich dankbar für die Konsequenz und für die solidarische Haltung, für den geraden Rücken. Großer Dank an Dietmar Koschmieder und alle Mitarbeiter. Und auch wenn es wieder einen Strich in meiner VS-Akte bedeutet – ich bin stolz zu euch zu gehören, bin stolz Abonnent und Genossenschafter dieser Zeitung und des Verlags zu sein.
    • Leserbrief von jutta himmelreich aus frankfurt am main (1. März 2025 um 13:22 Uhr)
      Gewiss ist es mit der Meinungsfreiheit in Deutschland nicht mehr weit her. Aber J. D. Vances Angriff kam m. E. nicht aus Liebe zu dieser Meinungsfreiheit, sondern weil er freie Fahrt für Bigtech möchte. EU-Gesetze zu deren Regulierung sind den Amis mehr als ein Dorn im Auge. Daher weht der Wind, mit dem Vances ungehöriger, unwürdiger Angriff auf die EU kam. Dessen ungeachtet: Danke an die junge Welt! Zum Glück gibts noch Medienmacher mit Rückgrat hierzulande! (Ich fördere sie gern, im Rahmen meiner bescheidenen möglichkeiten.)
  • Leserbrief von Rayan aus Unterschleißheim (22. Februar 2025 um 12:08 Uhr)
    Nochmals herzlichen Dank an jW und alle anderen, die diese beeindruckende Aktion der Solidarität gestemmt haben. Das war und ist echter Antifaschismus, der absolut notwendig ist und sich entsprechend wohltuend abhebt von den mehr oder weniger verdeckten pseudoantifaschistischen Bestrebungen, die auf der psychologischen Ebene und in der Wirkung ziemlich vergleichbar mit den Appeasement-Bestrebungen gegenüber den Nazis in den Jahren kurz vor dem Zweiten Weltkrieg sind. Der Preis der Lüge und Verlogenheit, die mittlerweile so krass um sich gegriffen hat, dass sie oft und für viele kaum noch erkennbar scheint, dies nicht nur hier, aber natürlich ganz besonders in diesem Themenbereich, ist am Ende für die Menschheit extrem hoch. Unbezahlbar hoch.
  • Leserbrief von Onlineabonnent/in Marc P. aus Cottbus (22. Februar 2025 um 10:00 Uhr)
    Die politische Situation in diesem Land erinnert mich zunehmend an die Zeit um 1930. Auch damals sandten SPD-Innensenatoren und -Polizeipräsidenten regelmäßig ihre Garden zur Einschüchterung der linken Opposition aus und rechtfertigten das mit der Notwendigkeit der Verteidigung der Demokratie. Der große Profiteur dieser Strategie war die extreme Rechte.
  • Leserbrief von Onlineabonnent/in Franz P. aus Wien (22. Februar 2025 um 06:59 Uhr)
    Ein erschütterter Zustand des Rechtsstaats Deutschland. Höchste UNO-Mitarbeiter bedrohen und einschüchtern. Oder ist das nur die Berliner Polizei, die »einfach« ihre Befugnisse überschreitet? Bei uns in Österreich ist die Polizei in Landesverantwortung. So kann etwa in Wien viel härter gegen die Propalästina-Veranstaltungen vorgegangen werden, als in anderen Bundesländern. (Wien ist als Großstadt ein eigenes Bundesland). In Berlin »überschreiten/überdehnen?« die bewaffneten Beamten natürlich mit zustimmender Duldung oberster Führungsebenen im deutschen Innenministerium ihre Befugnisse. Franz P. Koordinator der Diem25 Lokalgruppe Wien

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