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Aus: Ausgabe vom 10.06.2024, Seite 6 / Ausland
Lateinamerika

Mileis erstes Halbjahr

Argentinien: Trotz neoliberalen Kahlschlags hat ultrarechter Präsident erstaunlich positives Ansehen
Von Florencia Beloso, Buenos Aires
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Javier Milei winkt seinen Fans zu (Cordoba, 25.5.2024)

Javier Milei ist diesen Montag ein halbes Jahr lang im argentinischen Präsidentenamt. Es gab bisher kein Beispiel einer Regierung, die in so kurzer Zeit eine derart drastische neoliberale Deregulierung durchgeführt hat. Laut Milei sind die »Anpassungen« Teil eines »Kulturkampfes« gegen den »Sozialismus«, der das Land in den letzten Jahren beherrscht habe. Zur Klarstellung: Der Sozialismus hat die Casa Rosada nie erreicht. Als »sozialistisch« bezeichnet Milei die Mitte-rechts-Partei »Radikale Bürgerunion«, den Peronismus und sogar die seinen Positionen nahe Rechte, mit der er ein Bündnis eingegangen ist.

Als Höhepunkt dieser ersten Jahreshälfte ist es gelungen, die Inflation auf 8,8 Prozent zu senken. Bei Mileis Amtsübernahme lag sie bei 25,5 Prozent. Und die Regierung erzielte auch einen Haushaltsüberschuss, dessen Kehrseite allerdings ein sozialer Kahlschlag mit zahllosen unvorhersehbaren Folgen ist. Letzter Meilenstein der Regierung Milei in dieser Hinsicht war die Einstellung der Lieferung von Lebensmitteln an Suppenküchen. Die Verweigerung geschah vor dem Hintergrund steigender Armut (55 Prozent im ersten Quartal 2024) und wachsenden Hungers.

Laut einer Umfrage der Universidad Católica Argentina (UCA) leidet jeder vierte in Argentinien an umfassender Ernährungsunsicherheit. Was bedeutet, dass eine Person die Qualität ihrer Nahrungsmittel reduzieren oder Mahlzeiten auslassen muss, weil ihr Einkommen nicht ausreicht. Schwere Ernährungsunsicherheit, das heißt: häufiges Hungern, und betrifft zehn Prozent der Bevölkerung.

Negative Glanzleistung auf internationaler Ebene war eine diplomatische Krise mit Spanien, weil der argentinische Präsident während einer Veranstaltung der extrem rechten Vox-Partei in Madrid die Frau des spanischen Ministerpräsidenten Pedro Sánchez ohne jeden Beweis als »korrupt« bezeichnet hatte. Dieser Vorfall ereignete sich im Rahmen einer der sieben Reisen, die Milei seit seinem Amtsantritt im Dezember letzten Jahres unternommen hat, womit er Argentiniens Staatsoberhaupt mit den meisten Flugmeilen ist. Er reiste nicht in die Nachbarländer, sondern bevorzugt in die USA – und meistens aus persönlichen Gründen.

Das ehrgeizige »Grundgesetz« (Ley de Bases) wurde vom Kongress noch nicht verabschiedet, was eine der größten Schwächen der Regierung aufzeigt: dass Milei nämlich über keine eigene Parlamentsmehrheit verfügt. Der Gesetzentwurf sieht unter anderem eine Arbeitsreform und die Privatisierung von Staatsunternehmen wie der Fluggesellschaft Aerolíneas Argentinas und des öffentlich-rechtlichen Senders Televisión Pública vor.

Es gab auch eine Reihe von Rücktritten im Kabinett. Der wichtigste war der von Premierminister Nicolás Posse. Einer Figur im Verborgenen, über die während seiner Amtszeit nur wenig bekannt war. An seine Stelle trat Guillermo Francos, von dessen Fähigkeit zum Konsens die Regierbarkeit des Landes nun abhängt – und von der »Chefin«, Mileis einflussreicher Schwester und Generalsekretärin der Regierung Karina Milei.

Jüngsten Umfragen zufolge hat Milei immer noch ein erstaunlich positives Image. Einer aktuellen Umfrage der Universität von San Andrés zufolge lag die Zustimmung zur Regierung im Mai bei 48 Prozent, bei einer Ablehnung von 50 Prozent. Das bedeutet, dass dies der erste Monat war, in dem die Ablehnung die Zustimmung überstieg. Die Studie hebt aber hervor, dass die Zufriedenheit mit der allgemeinen Lage im Mai 41 Prozent erreichte. Damit war sie höher als im März, was nach Ansicht der Analysten mit dem Rückgang der Inflation zusammenhängt, während die Unzufriedenheit demselben Bericht zufolge im Mai 55 Prozent erreichte.

Wie wird Mileis Bilanz nach einem vollen Jahr aussehen? Die wirtschaftliche Deregulierung macht sich im abrupten Rückgang der Wirtschaftstätigkeit bemerkbar, aber vor allem in den Taschen der Beschäftigten, die auch unter der Streichung von Subventionen für Verkehr und Dienstleistungen wie Strom, Gas und Wasser leiden. Wie lange werden die Flitterwochen mit Milei noch dauern?

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