Verfassungsänderung hinfällig
Von Thomas Berger![ENCE-MACRON.JPG](/img/450/196008.jpg)
Die Unruhen in Neukaledonien haben ein neuntes Todesopfer gefordert. Ein junger Mann erlag am Dienstag seinen Verletzungen, die er Ende Mai davongetragen hatte, als er von einem Gendarmen angeschossen wurde. Die Lage in dem französischen Überseegebiet im südlichen Pazifik hat sich zwar zuletzt etwas beruhigt, bleibt aber nach wie vor angespannt. Aufgrund dessen hat zu Wochenbeginn Air New Zealand verkündet, den Flugbetrieb nach Neukaledonien erst wieder am 28. September aufzunehmen. Der internationale Flughafen der Hauptstadt Nouméa war seit dem Ausbruch der eskalierten Proteste am 13. Mai außer Betrieb gesetzt, weil die Zufahrtsstraße durch Barrikaden blockiert war. Erst am 5. Juni starteten wieder erste Flugzeuge. Da viele wohlhabende Neuseeländer den angebrochenen Südwinter gern in Neukaledonien verbringen, bedeuten die ausbleibenden Touristenströme einen finanziellen Einbruch für die Inselwirtschaft.
Das ist aber ein Nebenschauplatz. Bei der innenpolitischen Krise stehen sich zwei Lager unversöhnlich gegenüber. Eines will die Inseln, eines der letzten Überbleibsel des französischen Kolonialreichs in dieser Weltregion, am liebsten noch enger an Paris binden – vorrangig Nachfahren der frühen Siedler und in jüngerer Zeit Eingewanderte. Die einheimische Bevölkerung (Kanaken) strebt mehrheitlich seit Jahrzehnten die Loslösung vom »Mutterland« an. Den möglichen Weg dahin hatte das 1998 geschlossene Abkommen von Nouméa eröffnet. Drei Referenden fanden seither 2018, 2020 und 2021 statt, die aber jeweils den Verbleib bei Frankreich zum Ergebnis hatten. Das letzte hatte die Unabhängigkeitsbewegung boykottiert.
Die aktuellen Unruhen waren wegen einer Verfassungsreform ausgebrochen, die bei Wahlen und Abstimmungen die Kräfteverhältnisse verschieben würde, indem mehrere zehntausend Französischstämmige, die seit mindestens zehn Jahren auf den Inseln leben, künftig das Wahlrecht für Inselparlament und Regionalvertretungen erhielten. Sowohl Nationalversammlung (14. Mai) als auch Senat (2. April) in Paris hatten separat schon zugestimmt. Die vorgesehene finale Abstimmung beider Parlamentskammern gemeinsam und das Inkrafttreten zum 1. Juli sind durch die von Präsident Emmanuel Macron nach der Schlappe seiner Partei bei den Wahlen zum EU-Parlament angesetzten Neuwahlen nun schlicht hinfällig.
Dass sich der Vorstoß damit aus rein formal-praktischen Gründen erst einmal erledigt hat, spielt vor allem dem Lager der Unabhängigkeitsbefürworter in die Hände. Dessen Vertreter befürchten jedoch, dass durch die unverhoffte Neuwahl das Thema Neukaledonien vorerst wieder in den Hintergrund rückt. Ein Bündnis aus 32 zivilgesellschaftlichen Gruppen hat in einem Appell zu Wochenbeginn Paris aufgefordert, sein Agieren grundsätzlich zu ändern, um zu einem echten Dialog auf Augenhöhe zu finden. Gewalt wird verurteilt, die Kritik der Unabhängigkeitsfront (Kanakische und sozialistische Front der nationalen Befreiung/FLNKS) am gutsherrlichen Agieren von Macron und Co. aber unterstützt. Die UNO sei aufgefordert, ein neutrales Vermittlungsteam aus anerkannten Persönlichkeiten der Pazifikregion zu berufen, erklärte Joey Tau von der mitunterzeichnenden Gruppe Pacific Network on Globalisation (Pang) in einem Interview mit Radio New Zealand.
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