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Aus: Ausgabe vom 09.07.2024, Seite 8 / Feuilleton
Non-Kongress in Berlin

»Kein Fatalismus, eher revolutionärer Realismus«

Berlin: Kongress der Non-Bewegung diskutierte Vorstellungen über das Ende. Ein Gespräch mit Albert Möller
Interview: Henning von Stoltzenberg
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Joker mit Gelbweste: Demonstrant fodert per Plakat »Alles muss weg!!« (Paris, 16.11.2019)

Die Non-Bewegung hat Ende Juni einen Kongress in Berlin abgehalten. Was genau ist die Non-Bewegung? Außer auf Ihrer Webseite lässt sich darüber wenig finden.

Wir beziehen uns mit diesem Begriff hauptsächlich auf den Text »Vorwärts Barbaren«, der im Mai 2020 in der Reihe »Endnotes« erschien (herausgegeben vom gleichnamigen Kollektiv mit Mitgliedern aus der BRD, dem Vereinigten Königreich und den USA, jW). In ihrem Text versucht die Gruppe, die Revolten und Aufstände, die es seit 2008 immer wieder gibt – wie in Chile, Sudan, Libanon oder die französischen Gelbwesten – zu verstehen. In Abgrenzung zur klassischen sozialen Bewegung nehmen darin vereinzelte und unorganisierte Akteure teil. Die klassische Linke ist darin nahezu irrelevant. Es ist das Zusammenspiel von stetig wachsenden Non-Bewegungen, die eine noch nie dagewesene Anzahl von Menschen einbeziehen, und der Krise der Repräsentation, die es uns erlaubt, den Trend unserer Zeit als die Produktion von Revolutionären ohne eine Revolution zu beschreiben.

Der Blick in das Programm Ihres Kongresses zeigt einen eher fatalistischen Ansatz. Wer war Ihre Zielgruppe?

Wir hatten keine Zielgruppe. Wir haben mit unseren Fragen eingeladen und es kamen Leute mit ähnlichen Fragen, auf die es keine einfachen, schnellen Antworten geben kann. Menschen, die das Gefühl haben, dass wir vor so etwas wie einem Epochenumbruch stehen, und dass unsere bisherigen Gewissheiten in bezug darauf, wie unsere Gesellschaft verfasst ist, auf den Prüfstand gehören. Das ist kein Fatalismus, sondern vielleicht eher revolutionärer Realismus angesichts der Scheiße.

Wie viele Leute kamen am Ende?

Es haben zwischen 100 und 150 Menschen aus der deutschen Provinz und verschiedenen europäischen Ländern teilgenommen. Dass unser Zusammenkommen scheinbar bereits bei Leuten Panik auslöst, haben wir daran gemerkt, dass uns zweimal unter technokratischen Vorwänden wie Brandschutz einige Tage vorher die Räume abgesagt wurden. Es gibt wohl Menschen, denen es nicht passt, wenn viele sich treffen, um sich ernsthaft Gedanken darüber zu machen, wie wir uns und die Welt nicht aufgeben können.

Worüber herrschte Einigkeit, worüber musste gestritten werden?

Es herrschte Einigkeit über ein gemeinsam geteiltes Gefühl oder eine Ahnung, dass wir an einem Ende stehen. Die Vorstellungen über das Ende waren allerdings sehr unterschiedlich: Das Ende der Zivilisation, wie wir sie kennen, der real existierenden Linken, der Politik, der bürgerlichen Gesellschaft – es war alles dabei. Insofern haben wir über alles gestritten, selbst darüber, was die richtigen Fragen sind. Und trotzdem hat uns diese gemeinsame Ratlosigkeit in den Gesprächen getragen. Diese Ratlosigkeit zur Methode zu machen, ist eine große Herausforderung, aber angesichts der Verhältnisse richtig. Ansonsten landen wir nur in linken, bürgerlichen oder rechten Verzweiflungstaten.

Heißt das, der Austausch hatte keinen bestimmten Fokus?

Dafür ist die Lage zu undurchsichtig und das Spektakel der Simulation zu stark. Es gab nur das Mäandern und Tasten im Nebel. Der Tod der Öffentlichkeit, die Bestrebungen des Kapitals, selbst über seine planetarischen Grenzen hinauszuwachsen, die zunehmende Kolonialisierung der Seele durch Algorithmisierung, die Möglichkeit, dass die kapitalistische Zivilisation noch zu lange existieren wird und viele andere Abscheulichkeiten. Wirklich sträflich vernachlässigt haben wir die Frage des Krieges.

Und wie lautet Ihre Prognose für die Linke in Deutschland und der EU?

Eine Aussage über die Zukunft zu treffen, über etwas sich Entwickelndes, kommt für die Linke zu spät. Sorgen bereitet uns die katastrophale Gegenwart. Es ist nicht die Zukunft, die uns positiv stimmt, sondern das Uneingelöste der Gegenwart mit ihren Möglichkeiten und Offenbarungen. Es muss darum gehen, unser Verständnis der Welt und unsere Begegnungen in ihr zu vertiefen, um uns irgendwann wieder in der Möglichkeit zu befinden, die bestehende Ordnung anzugreifen.

Albert Möller (Name geändert) ist Sprecher der Non-Bewegung

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