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Aus: Ausgabe vom 15.07.2024, Seite 11 / Feuilleton
Comic

Was nützt die Schönheit …

… wenn die Vorlage dumm ist? Etwa Cormac McCarthys dystopischer Roman »Die Straße«, jetzt als Comic adaptiert von Manu Larcenet
Von Marc Hieronimus
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Bildgewaltig, aber kein Lesespaß

Die USA nach der atomaren Vernichtung. Vater und Sohn fliehen vor dem nahenden Winter zu Fuß nach Süden. Ihr Besitz: ein Einkaufswagen mit Konserven, das Nötigste zum Übernachten im Freien und ein Revolver mit zwei Patronen für den Suizid im Fall der Fälle. Der millionenfach verkaufte Roman »The Road« (dt. »Die Straße«, 2008) von Cormac McCarthy wurde bei seinem Erscheinen 2006 von der Kritik in geradezu grotesker Weise als Jahrhundertroman »von biblischer Wucht«, »wichtigstes Umweltbuch aller Zeiten« und dergleichen bejubelt, ist aber voller logischer und naturgesetzlicher Ungereimtheiten.

Die große Katastrophe muss schon einige Jahre her sein, der Junge war noch im Mutterleib, als es knallte. Nur wenige Menschen haben überlebt. Zu erwarten wäre also die natürliche Verwilderung der Welt, ihre Rückeroberung durch die Natur, aber nein, alles ist und bleibt vernichtet. Lebewesen, die weit zäher und auch reproduktiver sind als Homo sapiens wie Nagetiere und Insekten, oder zum Beispiel alle Pflanzen sind mangels Fressfeinden nicht etwa vorherrschend, sondern ausgestorben. Auch das Meer ist tot. Die Menschen können sonderbarerweise trotzdem atmen und sich ernähren. Die meisten, die ganz unironisch so genannten »Bösen«, haben nichts Besseres zu tun als Sekten zu bilden, von denen man gerne mehr erführe, und sich gegenseitig aufzuhängen und -essen. Einmal wird ein Neugeborenes verspeist. Das ist dann auch der Moment, wo die zart Besaiteten das Buch in die Ecke pfeffern bzw. das Kino verlassen, trotz Viggo Mortensen in der Hauptrolle. Manche Bösen halten sich extra Artgenossen zum Verzehr.

Jede halbwegs informierte Vegetarierin weiß, dass Fleischkonsum weit ressourcenintensiver ist als der direkte Verzehr der Tiernahrung bzw. hier der aus der Vorkriegszeit noch übrigen Konserven. Überhaupt dürften die langsam knapp werden, aber Landwirtschaft betreibt niemand. Ach ja, geht ja nicht mehr. Auch die immer wieder ins Bild gerückte Knarre mit den zwei Patronen ist Blödsinn. Wenn es Vater und Sohn gelingt, immer aufs neue Essensvorräte zu finden, sollten sie in diesem Waffennarrenwunderland doch wohl auch ein wenig Munition auftreiben können. Im übrigen kann man sich auch mit einem Messer töten.

Was aber hat Kritik und Publikum so sehr an der ereignisarmen und wenig originellen Geschichte begeistert? Sicher zum einen das für Dystopien typische Gefühlsgemisch aus dem Grusel, dass uns etwas Vergleichbares bevorstehen könnte und der Erleichterung, dass es so schlimm in Wirklichkeit dann doch noch nicht ist. »Die Straße« sticht aber durch ihr Menschenbild aus dem Genre hervor. Der Mensch ist nicht etwa »im Grunde gut«, wie das sehr lesenswerte Buch dieses Titels von Rutger Bregman durchaus plausibel darlegt, sondern eine Bestie, und der Firnis der Zivilisation ist dünn. Wenn der Straf- und Überwachungsstaat nicht mehr aufpasst, fallen wir übereinander her. Das passte in das Nullerjahrzehnt, als der zivilisierte Westen sich von barbarischen Terroristen bedroht sah und passt heute noch besser, wo es in immer größeren und zahlreicheren Kreisen üblich wird, in Vorbereitung auf das kommende Unheil Schutzräume zu bauen und Vorräte zu horten.

Nun also hat Manu Larcenet den Roman »in ein bildgewaltiges Werk von düsterer Schönheit« verwandelt, wie der Verlag formuliert. Auch Schönheit ist abhängig von Geschmack und Zeitgeist. Unbestritten ist Larcenet ein außerordentlicher Künstler mit einem schier unüberschaubaren Werk von größter Bandbreite. Er hat Kinderbücher, Erwachsenenhumor, Thriller, Funnies, Abenteuergeschichten, Experimentelles und Absurdes geschrieben und in so diversen Stilen gezeichnet, dass man sie kaum einem einzelnen Künstler zuordnen möchte. »Die Straße« hat er überwiegend in schwarzgrauen Tönen gestaltet und nur ein wenig Rost- und Erdfarbe einfließen lassen, wenn die Tristesse in Menschlichkeit, also meist Grausamkeit umschlägt. Jeder Strich und jeder Tupfer sitzt. Ein weiteres Meisterwerk. Ja, auf seine Art »schön«. Aber Lesespaß ist etwas anderes.

Cormac McCarthy/Manu Larcenet: Die Straße. Aus dem Französischen von Maria Berthold und Heike Drescher. Reprodukt-Verlag, Berlin 2024, 160 Seiten, 25 Euro

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