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Aus: Ausgabe vom 22.07.2024, Seite 2 / Inland
Heartfield-Collage beschlagnahmt

»Das war ein unzulässiger Akt von Zensur«

Bayern: Zwei Künstler und Nazigegner wegen Plakaten mit antifaschistischen Motiven von Justiz verfolgt. Ein Gespräch mit Gabriele Heinecke
Interview: Fabian Linder
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Nicht alle deutschen Beamten sind mit antifaschistischer Bildsprache vertraut (München, 13.6.2023)

Sie vertreten zwei Gewerkschafter, gegen die der Vorwurf des Verwendens von Kennzeichen verfassungswidriger Organisationen erhoben wurde. Was ist passiert?

Die Künstlerin und Gewerkschafterin Gaby Gedig verteilte am 3. März 2023 während einer Kundgebung von »Fridays for Future« in München ein Flugblatt des Arbeitskreises »Aktiv gegen rechts« in Verdi München. Dieses warb für eine Veranstaltung mit dem Titel »Lernen wir daraus?«. Auf der Vorderseite befand sich die Collage von John Heartfield mit den vier als Hakenkreuz angeordneten bluttriefenden Beilen. Das Flugblatt ist auf den ersten Blick als antifaschistisch zu erkennen. Die Polizei beschlagnahmte es mit der Behauptung, Gedig verwende Nazikennzeichen.

Der Künstler und Verdi-Gewerkschafter Günter Wangerin trug am 13. Juni 2023 auf einer Anti-AfD-Kundgebung von »München ist bunt« ein selbst entworfenes satirisches Plakat: blauer Grund, in Runenschrift »Wählt, dann Alternative für Teutschland«, dahinter der rote AfD-Pfeil und daneben Hitler mit dem eindeutigen Gruß und der Sprechblase »Hallo, Freunde! Ich war nur eben mal weg«. Die Polizei beschlagnahmte das Plakat wegen Verwendens von Nazikennzeichen, nahm Wangerin fest und verbot ihm die weitere Teilnahme an der Kundgebung. Auch er ist Mitglied des Arbeitskreises »Aktiv gegen rechts«. Ihm sei das Plakat unvermittelt aus den Händen gerissen und er unter Anwendung unmittelbaren Zwangs zu einem Polizeiwagen geschleppt worden. Er sei an beiden Oberarmen mit schmerzhaftem Griff festgehalten worden. Das war unnötig und unverhältnismäßig.

Wie bewerten Sie das Vorgehen?

In beiden Fällen ergibt sich schon aus dem Umstand der Einstellung der Verfahren mangels Tatverdachts, dass die Beschlagnahmungen rechtswidrig waren. Ich gehe davon aus, dass das jeweils gerichtlich so bestätigt wird. Feststellen kann man schon jetzt, dass die Beschlagnahme ein unzulässiger Akt von Zensur war.

Die Ermittlungen liefen schleppend.

Beide Verfahren sind von der Staatsanwaltschaft erst nach meiner Beauftragung und mehr als ein Jahr nach dem jeweiligen Geschehen mangels Tatverdachts eingestellt worden. Die Kollegin Gedig hatte nach der Beschlagnahme bei dem Amtsgericht München das Flugblatt herausverlangt. Nach dem Gesetz hätte es innerhalb von drei Tagen eine Entscheidung geben müssen. Nachdem ich im März 2024 den Antrag auf Herausgabe durch gerichtliche Entscheidung wiederholt hatte, bestätigte eine Richterin die Beschlagnahme des Flugblatts mit einer erfundenen Behauptung.

Welche denn?

In dem Beschluss steht, auf dem Flyer sei der Text »Der alte Wahlspruch im ›neuen‹ Reich: Blut und Eisen« zu lesen gewesen. In Wahrheit waren auf die Collage die Daten der Machtübernahme der Nazis in München gedruckt: 9. März 1933, Überfall der SA auf das Münchner Gewerkschaftshaus. 15. April 1933, Aufruf des ADGB zur Teilnahme an den 1. Mai-Aufmärschen der Nationalsozialisten und 2. Mai 1933, das Verbot und die Zerschlagung der Gewerkschaften.

Durch Akteneinsicht konnten wir nachvollziehen, dass der von Gaby Gedig an das Amtsgericht München gerichtete Antrag auf Herausgabe an den polizeilichen Staatsschutz weitergeleitet worden war. Das beschlagnahmte Flugblatt liegt gar nicht bei der Akte. Statt dessen hat ein Beamter des Staatsschutzes eine Collage von Heartfield aus dem Internet gezogen, in seinen Ermittlungsbericht kopiert und suggeriert, es handele sich um den inkriminierten Aufdruck auf dem beschlagnahmten Flugblatt. Irgendwer hat handschriftlich daneben geschrieben, das sei keine Abbildung des beschlagnahmten Flugblatts. Trotzdem wird von der Staatsanwaltschaft das Ermittlungsverfahren gegen die Kollegin Gedig eingeleitet und als Tatzeit nicht der 3. März 2023, sondern der 18. Juni 2023 angegeben.

Konnten Sie dagegen vorgehen?

Gegen den richterlichen Beschluss haben wir Beschwerde zum Landgericht eingelegt und möchten auch nach Einstellung des Verfahrens festgestellt haben, dass die Beschlagnahme unrechtmäßig in die Versammlungs-, Meinungsäußerungs- und Kunstfreiheit der Gewerkschafterin Gedig eingegriffen hat. Wir haben der Staatsanwaltschaft sämtliche Anknüpfungstatsachen für unseren Verdacht der falschen Verdächtigung und der Rechtsbeugung mitgeteilt und beantragt, Auskunft über die Hintergründe dieser kompletten Fehlleistung zu geben.

Gabriele Heinecke ist Rechtsanwältin

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