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Aus: Ausgabe vom 23.07.2024, Seite 7 / Ausland
Ukraine-Krieg

Söldner verurteilt

Todesurteil gegen deutschen Staatsbürger in Belarus. Geheimverhandlungen zwischen Minsk und Berlin
Von Reinhard Lauterbach
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Söldnerführer Dsjanis Procharau ist Kommandeur des »Kastus-Kalinouski-Regiments« (Gdańsk, 29.1.2024)

Ein deutscher Staatsbürger ist im Juni in Belarus wegen Terrorismus und Söldnertum zum Tode verurteilt worden. Das Urteil gegen den 30jährigen Mann erging schon vor vier Wochen in einem hinter verschlossenen Türen geführten Prozess in Minsk; bekannt wurde es durch eine Mitteilung der prowestlichen »Menschenrechtsorganisation« »Wjasna« vom Freitag. Inzwischen hat auch das Auswärtige Amt bestätigt, dass es in der Angelegenheit mit der belarussischen Seite in Kontakt steht. Die scheint das Urteil auch als Hebel nutzen zu wollen, um mit der deutschen Seite politisch wieder ins Geschäft zu kommen. Die Bundesregierung hatte nach der Niederschlagung der Proteste gegen die mutmaßliche Fälschung der Präsidentenwahl im Herbst 2020 die Kontakte zu Belarus auf ein Minimum heruntergefahren.

Laut Anklage soll sich der Deutsche namens Rico Krieger 2022 dem »Kastus-Kalinouski-Regiment« angeschlossen haben. Das ist eine Freiwilligenformation belarussischer Regierungsgegner, die aktuell in der Ukraine gegen Russland kämpft, aber kein Geheimnis daraus macht, dass sie ihr eigentliches Ziel darin sieht, in Belarus einen bewaffneten Umsturz herbeizuführen. Krieger wurde demnach Anfang Oktober 2023 im russisch-belarussischen Grenzgebiet bei dem Versuch einer nicht näher charakterisierten Sabotageaktion von russischen Kräften festgenommen und anschließend an Belarus überstellt.

Interessanter ist, was aus den Bruchstücken aus Kriegers Biographie, die inzwischen aus den Profilen des Verurteilten in sozialen Netzwerken bekanntgeworden sind, über seinen mutmaßlichen Werdegang zum Söldner ablesbar ist. Demnach soll er eine Zeitlang als bewaffneter Sicherheitsbeamter bei der US-Botschaft in Berlin gearbeitet haben. Er soll zu dieser Zeit Pläne gehabt haben, in die USA auszuwandern. Auf dem Bewerbungsnetzwerk Linkedin unterhielt er zwei Konten, eines davon in englischer Sprache. Dort gab er auch eine mit 001 beginnende – also über einen US-Anbieter laufende – Telefonnummer an. Hat er diese Nummer von der Botschaft bekommen, vielleicht auch zur späteren Kontaktaufnahme? Wurde er eventuell in Berlin von US-Diensten angeworben mit dem Versprechen, ihm eine »Green Card« zu verschaffen?

Anschließend an seine Tätigkeit für die Botschaft ging er jedenfalls nach Niedersachsen, wo er eine Zeitlang für das Deutsche Rote Kreuz (DRK) im Rettungsdienst arbeitete. Der russische Dienst der Deutschen Welle benutzte das Verb in diesem Kontext sogar im Präsens; eine Sprecherin schrieb am Wochenende, Kriegers »Aufenthalt im Ausland« sei nicht Teil seiner Arbeit für das DRK gewesen. Wie auch, wenn er zuvor irgendwo in Niedersachsen Krankenwagen gefahren haben soll? Weiter erklärte die DRK-Sprecherin, die Organisation habe sich auf die Nachricht von seiner Festnahme hin »im Rahmen ihrer Möglichkeiten« bemüht, sich für Rico Krieger einzusetzen. Ist soviel Fürsorge für einen ausgeschiedenen Mitarbeiter üblich? Oder war die Tätigkeit beim DRK am Ende Teil einer Legendierung und gleichzeitig Ausbildung zum Sanitäter, was ja eine beim Militär nützliche Qualifikation ist? Jedenfalls soll der gelernte KFZ-Mechaniker Krieger beim »Kalinouski-Regiment« angeblich als Sanitäter tätig gewesen sein.

Zum Verlauf der Verhandlungen über das weitere Schicksal des verurteilten Deutschen bewahren beide Seiten Stillschweigen. Das gilt genauso für einen weiteren Fall von möglichem Gefangenenaustausch, über den am Freitag die Berliner Zeitung spekulierte. Demnach soll das vergangene Woche ergangene Urteil gegen den in Russland unter Spionagevorwurf angeklagten US-Journalisten Evan Gershkovich deshalb für russische Verhältnisse ungewöhnlich rasch ergangen sein, damit er eventuell im Rahmen eines Austauschs gegen den in Deutschland inhaftierten »Tiergartenmörder« Wadim Krassikow begnadigt werden kann. Wladimir Putin nimmt offenkundig Anteil an dessen Schicksal, er bezeichnete ihn mehrfach als »russischen Patrioten«. Auch sein Außenminister Sergej Lawrow hat dieser Tage mitgeteilt, dass er anlässlich seines Aufenthalts bei der UNO in diesem Monat mit der US-Seite vertraulich über einen möglichen Austausch verhandelt habe. Dass dabei auch die deutsche Seite einbezogen werden muss, ist klar.

Solidarität jetzt!

Das Verwaltungsgericht Berlin hat entschieden und die Klage des Verlags 8. Mai abgewiesen. Die Bundesregierung darf die Tageszeitung junge Welt in ihren jährlichen Verfassungsschutzberichten erwähnen und beobachten. Nun muss eine höhere Instanz entscheiden.

In unseren Augen ist das Urteil eine Einschränkung der Meinungs- und Pressefreiheit in der Bundesrepublik. Aber auch umgekehrt wird Bürgerinnen und Bürgern erschwert, sich aus verschiedenen Quellen frei zu informieren.

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