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Aus: Ausgabe vom 25.07.2024, Seite 6 / Ausland
Großbritannien

Auch Starmer schottet ab

Neuer britischer Premier führt restriktive Migrationspolitik fort
Von Dieter Reinisch
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Auch mit der neuen Regierung werden Menschen die gefährliche Fahrt über den Ärmelkanal wagen (4.5.2024)

Die neue Labour-Regierung von Keir Starmer ist mit Schwung in die ersten Amtswochen gestartet – wohl auch, um eines zu verdecken: Trotz höherer Spenden für den Wahlkampf als alle anderen Parteien zusammen, wie die BBC vor kurzem berichtete, erhielt Starmer weniger Stimmen als sein Vorgänger Jeremy Corbyn.

In den ersten Tagen seiner Amtszeit kündigte der Premier medienwirksame Projekte an: die Schaffung eines nationalen Energiekonzerns, den schrittweisen Ausstieg aus der Förderung von Öl- und Gas in der Nordsee und das Ziel, in den kommenden Jahren CO2-neutral zu werden. Auch die Wiederaufnahme der Zahlungen an das Palästinenserhilfswerk UNRWA und eine Annäherung an die EU gehören dazu.

In der Migrationspolitik wurden die heftig kritisierten Prestigeprojekte seines konservativen Vorgängers Rishi Sunak zurückgenommen. Darunter auch die Ruanda-Abkommen, mit dem die Tories Asylwerber bereits vor Abschluss ihres Verfahrens in das afrikanische Land abschieben wollten. Diese Woche gab Labour dann bekannt, die Bibby Stockholm im Januar 2025 zu schließen. Auf dem vor Dorset angelegten Boot waren 500 Flüchtlinge unter schlechten Bedingungen untergebracht. Gewerkschaften und Menschenrechtsgruppen hatten dieses Vorgehen regelmäßig kritisiert.

Von Liberalen und einigen Linken werden die Schritte der neuen Regierung gefeiert. Auch die Gewerkschaften zeigen sich erfreut. Doch derartige Ankündigungen verdecken, dass Starmers neues Migrationsgesetz nicht nur die restriktive Tory-Politik weiterführt, sondern teilweise die Einwanderungsmöglichkeiten nach Großbritannien weiter verschärft. Denn an der Grenze möchte die neue Regierung »Ordnung schaffen«, wie Innenministerin Yvette Cooper am Montag nachmittag in einer Parlamentsdebatte betonte.

Traditionell macht der König das zukünftige Programm einer neuen Regierung publik. In seiner Rede vergangenen Mittwoch verkündete König Charles, dass ein Gesetzentwurf zur »Modernisierung des Asyl- und Einwanderungssystems« eingebracht werden soll, der »ein neues Grenzschutzkommando einsetzt und erweiterte Befugnisse zur Terrorismusbekämpfung verleiht, um die organisierte Einwanderungskriminalität einzudämmen«.

In den Parlamentserläuterungen zum Gesetzentwurf »Border Security, Asylum and Immigration Bill« wird dargelegt, dass »stärkere Grenzen« und »ein angemessen kontrolliertes und verwaltetes Asylsystem« geschaffen werden sollen. Mit anderen Worten: Durch den Aufbau eines neuen Grenzkommandos soll Flucht über den Ärmelkanal verunmöglicht werden. Daneben sollen Polizisten mehr Befugnisse bekommen, »um gegen kriminelle Banden vorzugehen« und die Terrorismusbekämpfung voranzutreiben. In diesem Zusammenhang ist die Rede von organisierter Einwanderungskriminalität. Labour stigmatisiert somit Flüchtlinge als potentielle Kriminelle und Terroristen.

Nach den Plänen der Starmer-Regierung sollen auch Asylanträge schneller bearbeitet werden. Das dadurch eingesparte Geld soll direkt in das Budget des neuen Grenzschutzkommandos fließen. 100 Millionen Pfund Sterling – umgerechnet 120 Millionen Euro –, die für die Ruanda-Pläne eingeplant waren, werden an den neuen »Grenzschutz« umgeleitet.

Am Dienstag verkündete Starmer dann die Schaffung des »Migration Advisory Committee«. Es soll sicherstellen, dass »der britische Arbeitsmarkt nicht mehr auf Migration angewiesen ist«, so der Premier bei der Verkündung der neuen Behörde. »Wir sind entschlossen, die Ordnung im Asylsystem wiederherzustellen, damit es schnell, entschlossen und fair funktioniert und die ordnungsgemäße Durchsetzung der Regeln gewährleistet ist«, kündigte die Ministerin für Grenzsicherheit und Asyl, Angela Eagle, an.

Wie Starmer mit Kritik an seiner rechten Politik umgeht, zeigte er Dienstag nacht: Nachdem sieben Labour-Abgeordnete mit den schottischen Nationalisten für ein Gesetz zur Bekämpfung der Kinderarmut gestimmt hatten, wurden sie für sechs Monate suspendiert. Darunter sind die bekannten Abgeordneten Zarah Sultana, John McDonnell und Rebecca Long Bailey.

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