75 Ausgaben junge Welt für 75 €
Gegründet 1947 Sa. / So., 07. / 8. September 2024, Nr. 209
Die junge Welt wird von 2927 GenossInnen herausgegeben
75 Ausgaben junge Welt für 75 € 75 Ausgaben junge Welt für 75 €
75 Ausgaben junge Welt für 75 €
Aus: Ausgabe vom 27.07.2024, Seite 2 / Inland
Faschismus

»Rechtsparteien sind selbst bürgerlich«

Marxistische Studienwoche in Frankfurt am Main zur Krise des Herrschaftssystems und allgemeinen Rechtsentwicklung. Gespräch mit Phillip Becher
Interview: Karim Natour
imago0096732848h.jpg
Wer braucht schon Faschisten, wenn es solche Liberale gibt? FDP-Mann Thomas Kemmerich (l.) ließ sich 2020 im Thüringer Landtag mit den Stimmen der AfD zum Regierungschef wählen

In Frankreich Le Pen, in den USA Trump und in Deutschland die AfD. Überall erstarken rechte Kräfte. 2021 haben Sie ein Buch über »Rechtspopulismus« veröffentlicht, das sich dem Aufstieg neuer rechter Parteien in Europa und Nordamerika widmet. Was verbirgt sich hinter dem Begriff?

Mit diesem problematischen Begriff kann man sich einem Widerspruch nähern: Als »rechts« lassen sich im Anschluss an Reinhard Opitz Bewegungen oder Kräfte bezeichnen, die »hinter den zu ihrer Zeit jeweils schon erreichten Realisationsgrad von Demokratie oder auch nur Artikulationsspielraum der demokratischen (linken) Kräfte zurückdrängen«. Das Wort »Populismus« verweist auf das Volk, an das appelliert wird. Scheinbar wird also eine Politik angeboten, die unter Berufung auf das Volk Kämpfen um reale Volksherrschaft schadet.

Das ist freilich noch keine fertige Analyse. Schaut man sich die soziale Zusammensetzung und organisatorische Struktur, das ideologische Angebot mit völkischen Zutaten sowie die gesellschaftliche Funktion solcher Parteien an, kommt man mit Opitz zum Schluss: Hier soll eine »parlamentsfähige Massenbasis für administrativ-autoritäre Politik« hergestellt werden.

Mitte August sprechen Sie im Rahmen der »Marxistischen Studienwoche« der Zeitschrift Marxistische Erneuerung in Frankfurt am Main über die »Krise des Herrschaftssystems und Rechtsentwicklung«. Wie hängt die Krise des globalen Kapitalismus mit dem Aufstieg rechter Parteien zusammen?

Dem bestehenden Herrschaftssystem gelingt es angesichts sozialisierter Krisenabwälzung immer schlechter, seine Einrichtungen und Ergebnisse gegenüber größer werdenden Teilen der Bevölkerung zu rechtfertigen. Der Aufstieg der äußersten Rechten ist sowohl Ausdruck dieser abnehmenden Fähigkeit und der Krise des Neoliberalismus als auch Konsequenz der fortgesetzten Hegemonie eben jenes Neoliberalismus. Dieser ist bislang in unzureichender Weise von fortschrittlichen Alternativen herausgefordert worden.

In Deutschland ist oft die Rede von der sogenannten Brandmauer zwischen traditionellen bürgerlichen und weiter rechts stehenden Parteien. Kann man sich darauf verlassen?

Nein, denn die Rechtsparteien sind selbst bürgerlich. Gauland hat das Ziel seiner AfD folgendermaßen ausgegeben: »Eine bürgerliche Partei will das Eigentum schützen und die freie Wirtschaft verteidigen.« Zudem kommt ein Gutteil des AfD-Führungspersonals ursprünglich aus den Unionsparteien oder der FDP. Die vermeintliche Brandmauer hat weder die Stimmgemeinschaft aus CDU, FDP und AfD in Thüringen zur Grunderwerbssteuersenkung noch die vielfältigen kommunalen Kooperationen in Ostdeutschland verhindert.

Trotz dieser Übereinstimmung wird sogar ein AfD-Verbot diskutiert. Halten Sie das für ein geeignetes Mittel, um der Entwicklung entgegenzuwirken?

Ich bin nicht prinzipiell gegen die Idee eines Organisationsverbots in einer antifaschistischen Demokratie. Unter den jetzigen Kräfteverhältnissen wären solche Maßnahmen aber wahrscheinlich eher Vorwand für spätere Repressionen gegen links, während zugleich andere Rechtskräfte wie die Werteunion das AfD-Potential relativ unbehelligt auffangen könnten. Davon abgesehen dürfte das Interesse an einem Verbotsprozess ohnehin abnehmen, denn ein ernsthaft betriebenes Verfahren würde die inhaltlichen Übereinstimmungen zwischen der AfD und anderen bürgerlichen Parteien noch klarer erkennbar werden lassen.

Wie ließe sich also vor diesem Hintergrund gegen die Rechtsentwicklung vorgehen?

Zum jetzigen Zeitpunkt sollte das Hauptaugenmerk auf eine politische Alternative zum Rechtspopulismus gelegt werden. Hierzu ein praktisches Beispiel: Zumindest auf kommunaler Ebene konnten in Österreich die Kommunisten die Rechtspopulisten erfolgreich schwächen oder zumindest am weiteren Wachstum hindern und zugleich den Rechtstrends seitens der herkömmlichen bürgerlichen Politik eine Alternative entgegensetzen. Das KPÖ-Motto zur EU-Wahl, »Wohnen statt Kanonen«, war ein passender Schlachtruf für die zu führenden Kämpfe.

Phillip Becher ist Sozialwissenschaftler

Marxistische Studienwoche der Zeitschrift Marxistische Erneuerung vom 12. bis zum 15. August 2024 in Frankfurt an Main

Anmeldung: kurzlinks.de/marxistische-studienwoche

Solidarität jetzt!

Das Verwaltungsgericht Berlin hat entschieden und die Klage des Verlags 8. Mai abgewiesen. Die Bundesregierung darf die Tageszeitung junge Welt in ihren jährlichen Verfassungsschutzberichten erwähnen und beobachten. Nun muss eine höhere Instanz entscheiden.

In unseren Augen ist das Urteil eine Einschränkung der Meinungs- und Pressefreiheit in der Bundesrepublik. Aber auch umgekehrt wird Bürgerinnen und Bürgern erschwert, sich aus verschiedenen Quellen frei zu informieren.

Genau das aber ist unser Ziel: Aufklärung mit gut gemachtem Journalismus. Sie können das unterstützen. Darum: junge Welt abonnieren für die Pressefreiheit!

Ähnliche: